Artikel

Im Fokus

Bio bedeutet: Leben!

Wie wir zu einer nachhaltigen Lebensmittelwirtschaft kommen – und warum dies notwendig ist, für uns und für die Welt. 

Was ist wichtiger: die Sicherheit, genug zu essen zu haben oder der Schutz der Umwelt? Darüber streitet derzeit die Politik. Dabei kann Bio beides: Die Menschheit heute gesund ernähren und dabei die natürlichen Lebensgrundlagen für morgen sichern. Hoffnung macht, dass Forscherinnen und Wissenschaftler Bio dieses Potenzial bestätigen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen nur noch handeln.

Hierzulande sorgt Bio schon heute dafür, dass die 90 Milliarden Euro Umweltschäden, die die Landwirtschaft allein in Deutschland Jahr für Jahr verursacht, weniger werden. Diese Schäden entstehen, obwohl Umweltschutz und Tierwohl Verfassungsrang in Deutschland haben. Es braucht also eine Politik, die diese Staatsziele ernst nimmt und es denjenigen Unternehmen und Höfen leichter macht, die auf diese Ziele einzahlen.

Wenn sich derzeit Stimmen erheben, die „Ernährungssicherheit“ zum Staatsziel erheben wollen, geht es ihnen dabei freilich nicht um langfristig gute Ernten. Sondern darum, dass eine ohnehin geschundene Umwelt weiter geschunden werden darf, um kurzfristig hohe Erträge zu Lasten der Nachhaltigkeit zu erzielen. Wer für solche Strohfeuer-Erträge seine Umwelt und damit die Produktionsgrundlagen für Lebensmittel riskiert, handelt wie jemand, der seine Jacke anzündet, damit ihm schnell warm wird. 

Wer es ernst meint mit der Verantwortung der heimischen Ernährungswirtschaft für die Versorgung der Welt, muss sich der Tatsache stellen, dass die EU dem Weltmarkt große Mengen an Nahrungskalorien und -eiweiß entzieht. Es ist nicht so, dass uns die Welt braucht, damit sie versorgt wird. Die Welt braucht von uns ein Wirtschaften, dass verantwortungsvoll mit Lebensmitteln umgeht und vor allem maßvoll Tiere hält. Denn große Mengen an Agrarprodukten werden nach wie vor für die Tierhaltung importiert – und entziehen anderswo dringend benötigte Flächen für Nahrungsmittel.

Ebenfalls werden große Mengen an mit viel Erdgas erzeugten Dünger aus Russland importiert. So finanziert die Landwirtschaft den Krieg gegen die Ukraine mit. Bio dagegen braucht diesen Dünger nicht, sondern schöpft aus der Kraft der Photosynthese.

Bio macht Deutschland und Europa krisenfest.

Was es für echte Nahrungssicherheit braucht, ist mehr Resilienz, mehr Regionalität und mehr Unabhängigkeit von energieintensiven Inputs. Trotz Corona und den Folgen des Krieges gegen die Ukraine steht unser Ernährungssystem weiter in großer Abhängigkeit von Importen aus kritischen Quellen. So sind wir nicht krisenfest, weder kurz- noch langfristig. Das macht Deutschland und Europa im Zweifel erpressbar: ausgerechnet bei der Versorgung mit Nahrung.

Dabei wissen alle Akteure, wie es besser ginge. Die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft bleiben aktuell. Und wir haben mit Bio ein System, das eine wirksame und erprobte Antwort auf die Herausforderungen gibt. Ein Ernährungssystem, das ohne Kunstdünger, chemisch-synthetische Pestizide oder patentbelastete Gentechnik auskommt. Und das mit schonender Verarbeitung und nur ganz wenigen Zusatzstoffen auch in der Lebensmittelverarbeitung für gesunde Produkte sorgt.

Die Gesellschaft muss die wahren Preise von Lebensmitteln kennen. Nur so können Bürgerinnen und Bürger unser Ernährungssystem mitgestalten. Die CO2-Abgabe ist ein marktwirtschaftliches Instrument, das bei allen fossilen Düngemitteln wirksam greifen muss. Wichtig ist eine Abgabe auf Pestizide, damit deren gesundheitliche Folgen und Umweltschäden eingepreist werden. Es ist skandalös, dass dies derzeit allein den Bäuerinnen und Bauern aufgehalst wird – übrigens auch den Bio-Bauern. Alle deutschen Landwirte müssen seit 2024 deutlich mehr in die Berufsgenossenschaft einzahlen, weil Parkinson als Berufskrankheit anerkannt wurde. Der Zusammenhang mit chemisch-synthetischen Spritzmitteln gilt nämlich als erwiesen. 

Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben zudem ein Recht auf eine leistungsgebundene Verteilung der von ihnen erwirtschafteten Gelder an Höfe. Die Gelder der GAP müssen strikt für Honorierung der Ökosystemleistungen genutzt werden. Unser Vorschlag eines Stufenmodells, das einfacher für die Landwirtschaft und wirksamer für die Umwelt ist, liegt auf dem Tisch. 

Unbedingt muss auch der Umbau der Tierhaltung voranschreiten. Die verpflichtende staatliche Tierhaltung schafft Transparenz und die damit verbundene Förderung sichert ab, dass Tierhalter den Umbau anpacken können. Wichtig ist, dass sie über Schweine hinaus auch auf Rinder ausgedehnt wird und Bio auch dort eine eigene Stufe wird.

Deutschland braucht einen Plan für die mittelständische Ernährungswirtschaft.

Zentral ist, die große Innovationskraft der Bio-Branche zu stärken. Nach wie vor wird Bio seitens der Forschungsförderung diskriminiert. Die staatlichen Budgets hinken weit hinter dem Flächenanteil und der Marktbedeutung von Bio hinterher. 

Es braucht eine Politik für den Mittelstand der Ernährungswirtschaft. Es ist dramatisch, dass in den vergangenen 15 Jahren gut 40 Prozent der Bäckereien und Fleischereien verschwunden sind. Diese Verluste sind Ergebnis eines wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmens, der ausgerechnet kleine und mittlere Unternehmen im Markt diskriminiert: Betriebe, die für Lebensqualität in ländlichen Räumen unverzichtbar sind. Betriebe, die Heimat schaffen und die die sozial-ökologische Transformation ganz von unten, von und mit allen gestalten. Politik ist gefordert: Deutschland braucht eine Strategie zur Stärkung einer dezentralen, nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft, für die Bio mit seinen mittelständischen Unternehmen und Start-ups zentral ist. 

Kantinen müssen zum Real-Labor für gesundes Essen werden.

Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerien in Bund und Ländern müssen endlich zusammenarbeiten, unsinnige Bürokratie abbauen, Förderprogramme neu ausrichten. Hier treibt oft der Irrsinn im Kleinen die Unternehmen ins Aus. Bisher werden Regelungen mit Blick auf die Verhältnisse in Großunternehmen gestaltet. Künftig müssen kleine und mittlere Akteure besser berücksichtigt werden. 

Gefragt ist der Staat auch bei der Verantwortung für die Gemeinschaftsverpflegung. Öffentliche Kantinen müssen zum Real-Labor für gesundes Essen werden. Frische Bio-Produkte und eine gute Beratung der Küchen sind Garant dafür, dass das gelingt. Die neue Gold-Silber-Bronze-Auszeichnung für Bio in der Gastronomie ist ein guter Anfang. Für ehrliches Essen ohne künstliche Geschmacksverstärker braucht es empfindliche Geschmacksnerven – von Anfang an. Babykost muss heute schon die höchsten Anforderungen erfüllen und ist deswegen meistens Bio. Wann gibt es gutes Essen für alle, von Kitas über Schulen bis hin zu Behörden und Kliniken? Diese Daseinsfürsorge ist überfällig. 

Peter Röhrig, geschäftsführender Vorstand des BÖLW