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Artikel

Politikbereich Ernährung und Landwirtschaft

BÖLW-Grundsatzpapier zur Bundestagswahl 2021

Berlin, 20.01.2021. Ernährung und Landwirtschaft – kein anderes Politikfeld entscheidet so maßgeblich mit, wie auf dem Acker, in den Ställen, in der Verarbeitung und im Handel gewirtschaftet und ob den Menschen beim Essen die nachhaltige Wahl einfach gemacht wird. Von Agrarpolitik über Düngerecht, Ernährungsbildung und Labelling bis Züchtung gestalten das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und seine Behörden entscheidend den Rahmen – kaum ein Wirtschaftsbereich wird stärker politisch geprägt als die Agrarwirtschaft. Vor allem die Milliarden an Steuergeldern, die in die Landwirtschaft fließen, bestimmen stark, wie produziert wird und ob die Land- und Ernährungswirtschaft positiv oder negativ auf Umwelt, Klima, Biodiversität oder Gesundheit wirkt. Wo Politik steht und was es noch für einen enkeltauglichen Sektor braucht, darauf schauen wir in diesem Kapitel. Wir beleuchten die Themen EU-Agrarpolitik, Tierhaltung, Forschung, faire Märkte, Pflanzengesundheit, Ernährungswirtschaft, Ernährungspolitik, ländliche Räume, Ausbildung und Forschung.

Agrarpolitik:
Mit Steuergeld steuern

Die Gemeinsame EU-Agrarpolitik (GAP) entscheidet mit Milliarden an Steuergeldern, welche Landwirtschaft sich lohnt. Damit Bäuerinnen und Bauern, Wirtschaft und Umwelt im Land eine Zukunft haben, müssen jetzt die Weichen für eine nachhaltige Produktion gelegt werden.

»In der gesamten Landwirtschaft sollte Bio zum Normalfall gemacht werden.«

Janusz Wojciechowski, EU-Agrarkommissar

Was aktuell in Brüssel zur Reform der GAP, auch unter deutscher Ratspräsidentschaft, verhandelt wurde, zementiert den Status quo – und versäumt, Bäuerinnen und Bauern, die klima-, tier und umweltfreundlich wirtschaften wollen, ausreichend zu unterstützen. Damit wird der Green Deal der EU ausgehöhlt, der ohne eine enkeltaugliche GAP seine Ziele verfehlt. Zu spät ist es aber noch nicht, sollten EU-Staaten, die EU-Kommission und das EU-Parlament beim GAP-Trilog gemeinsam alles herausholen, damit jene Betriebe unterstützt werden, die freiwillig mehr für die Umwelt tun wollen. Und auch Deutschland muss mit einem ambitionierten, nationalen Strategieplan Spielräume konsequent nutzen, um Bio zu stärken. Denn Öko bietet den Höfen und Unternehmen eine echte Chance, ihre Betriebe zukunftsfähig aufzustellen und gleichzeitig das Gemeinwohl zu stärken.

»Die Agrarreform ist ein Schlag ins Gesicht, für alle, die es besser machen.«

Dr. Alexander Gerber, BÖLW-Vorstand Landwirtschaft

Steuergelder können nur dann „nachhaltig“ wirken und Zukunftsperspektiven sichern, wenn in Produktionssysteme investiert wird, die unsere planetaren Belastungsgrenzen respektieren – und auch in zehn, 20 oder 30 Jahren noch gesellschaftlich akzeptiert werden können. Bio ist das einzige System, bei dem wissenschaftlich erwiesen ist, dass es diesen Ansprüchen genügt und in der Breite funktioniert. Deshalb ist es sinnvoll, Fördermittel an die Erfüllung der Standards der EU-Öko-Verordnung zu binden. Das gilt u.a. für den Neubau von Tierställen ebenso wie für Produktionsanlagen in der Verarbeitung.

Tierhaltung umbauen:
Bauern und Tierwohl, Umwelt und Gesundheit stärken

Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung der Bundesregierung (Borchert-Kommission) empfiehlt, Tierhaltung grundlegend umzubauen. Das Gremium schließt sich damit den Erkenntnissen vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen von Tierethologie bis Ökonomie an. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz der Bundesregierung (WBAE) zeigte bereits 2015 in seinem Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung” den Pfad des Umbaus auf. Bio muss in der Umsetzung des Borchert-Plans eine entscheidende Rolle spielen. Denn die artgerechte Tierhaltung ist ein Grundpfeiler der Ökologischen Landwirtschaft, der höchste gesetzliche Standard in Deutschland und Europa. Frische Luft und Bewegung erhöhen die Lebensqualität der Bio-Tiere und machen sie widerstandsfähiger.

»Angesichts des globalen ökologischen Fußabdrucks und der negativen gesundheitlichen Effekte eines sehr hohen Fleischkonsums spricht sich der WBAE für die Strategie einer tiergerechteren und umweltfreundlicheren Produktion bei gleichzeitiger Reduktion der Konsummenge aus.«

Die artgerechte Haltung mit gentechnikfreiem Bio- Futter direkt vom Hof oder aus der Region (mind. 50 %) trägt ebenfalls zum Umweltschutz bei, da nur so viele Tiere pro Fläche gehalten werden wie Boden, Gewässer und Klima vertragen. Die Bio-Vorgaben zur Haltung müssen beim Borchert-Plan zum Maßstab der höchsten Stufe der Tierhaltung werden. Nur dann kann der Plan auch die Bio-Ziele der EU-Kommission, des Bundes und der Länder unterstützen. Wichtig ist, dass am Ende des Umbaus eine Tierhaltung steht, die von den Menschen akzeptiert wird und gut für Schwein, Rind, Huhn sowie Umwelt und Klima ist. Voraussetzung für den Umbau der Tierhaltung ist die Finanzierung.

»Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) setzt sich für eine grundsätzliche Richtungsänderung bei der Tierhaltung ein.«

Der BÖLW stützt den Vorschlag der Borchert-Kommission, eine Abgabe auf tierische Produkte zu erheben und darüber besonders artgerechte Haltungsverfahren zu unterstützen. Denn nur so kann der Umbau auch finanziert werden. Die aktuellen Pläne für ein sogenanntes freiwilliges „Tierwohllabel“ sind unzureichend sowie verwirrend und werden von Verbänden und Wirtschaft zurecht kritisiert. Nachdem sich die EU-Mitgliedstaaten und die -Kommission für eine europäische Tierhaltungskennzeichnung ausgesprochen haben, braucht es keinen nationalen Sonderweg.

Bäuerinnen, Kunden und Tiere gewinnen, wenn eine verpflichtende staatliche Haltungskennzeichnung nach dem Vorbild des EU-Eierlabels eingeführt wird – und Bio beim Fleisch, wie schon beim Ei, als höchste Stufe verankert wird.

Faire Märkte:
Für wahre Preise sorgen

Die Preise für Lebensmittel müssen die ökologische und soziale Wahrheit sagen, damit sie eine volkswirtschaftlich sinnvolle Steuerungsfunktion erfüllen können und die Marktwirtschaft funktioniert. Alle bisher veröffentlichten wissenschaftlichen Untersuchungen kommen mit Blick auf die Lebensmittelproduktion in Deutschland bzw. Europa zu einem klaren Ergebnis: Große Teile der v.a. mit der Erzeugung verbundenen Kosten für die Umwelt spiegeln sich nicht im Produktpreis an der Ladenkasse wider. Vielmehr bezahlen Bürgerinnen und Bürger einen Teil der externen Kosten indirekt mit ihren Steuergeldern – oder durch Gebühren wie einer höheren Wasserrechnung wegen der zusätzlichen Reinigung des Trinkwassers von Nitrat oder Pestiziden.

»Umweltschäden finden aktuell keinen Eingang in den Lebensmittelpreisen. Stattdessen fallen sie der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last. «

Dr. Tobias Gaugler, Universität Augsburg

Im schlimmsten Fall kommen alle Menschen für die „Reparatur“ von Umweltschäden auf, sogar jene, die Klima, Boden oder Artenvielfalt mit der Art ihres Wirtschaftens oder Verhaltens schützen. Das ist Marktversagen. Das aktuelle System stellt das Verursacherprinzip auf den Kopf – und macht Produkte, die auf Kosten der Umwelt produziert werden, „billiger“ als etwa Bio-Lebensmittel, die eine ehrliche Kostenbilanz aufweisen und deren Preise die Wahrheit sprechen. Zudem zeigen Forschungsergebnisse, dass eine an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) orientierte, fleischreduzierte Bio-Ernährung heute schon kaum mehr kostet als der übliche Lebensmitteleinkauf – pro Person müssten Kunden nur etwa 81 Euro/Jahr bzw. 22 Cent / Tag mehr zahlen. Will man Landwirtschaft und Ernährung umbauen, müssen Wettbewerbsverzerrungen gestoppt und dazu alle Kosten in das Produkt eingepreist werden. Umlagen auf den Einsatz synthetischer Pestizide und Düngemittel eignen sich, um Marktversagen zu begegnen. Denn das entsteht, wenn öffentliche Güter wie Boden, Artenvielfalt, Klima oder Grundwasser beim Wirtschaften geschädigt werden, aber die Produktpreise die entstandenen Kosten außen vorlassen. Und: Nur mit wahren Preisen entstehen faire Märkte, in denen sich eine nachhaltige Produktion für die BäuerInnen lohnt.

Pflanzengesundheit:
Bio-Pflanzen umweltfreundlich gesund erhalten

Vor allem mit kluger Vorsorge stärken Bio- Bäuerinnen und -Bauern die natürliche Selbstregulierung ihrer Gewächse. Das beugt wirkungsvoll Krankheiten und Schädlingen vor und hilft, Unkräuter in Schach zu halten.

»Ökolandbau fördert durch vielfältige Fruchtfolgen mit Zwischenfruchtanbau und dem Verzicht auf Pflanzenschutzmittel die biologische Vielfalt von Pflanzen und Tieren in der Agrarlandschaft.«

Umweltbundesamt 2020

Damit Bio-Pflanzen gesund wachsen können, spielen viele Faktoren eine Rolle: Gesunde Böden, die nicht überdüngt werden oder auch die Wahl der richtigen Sorte, die besonders nährstoffeffizient gedeiht, wenig anfällig für Krankheiten und robust gegen Schädlinge ist. Eine breite und vielfältige Fruchtfolge beugt ebenso Krankheiten und Schädlingen vor. Und der Schutz und die Förderung des Ökosystems Agrarfläche mitsamt der umgebenden Artenvielfalt stärkt ein natürliches Gleichgewicht zwischen Nützlingen und Schädlingen. Das Ergebnis des Bio-Ansatzes, Pfl anzen gesund zu erhalten, kann sich sehen lassen und schützt Bienen, Umwelt, Boden und Gewässer: Auf über 95 % aller Bio-Flächen werden in der Regel keine Pflanzenschutzmittel gespritzt. Chemischsynthetische Pestizide sind komplett verboten – im Bio-Anbau sind etwa Herbizide wie Glyphosat tabu. Wenn es im Ökolandbau Pflanzenschutzmittel braucht, müssen es Naturstoffe sein – also Stoffe, deren Risiken gut bekannt, abgrenzbar und vermeidbar sind. Problem: Die Zulassungssysteme für Pflanzenschutzmittelwirkstoffe sind auf synthetische Pestizide zugeschnitten. Aspekte von Naturstoffen werden nicht berücksichtigt, bzw. benachteiligt die Zulassungspraxis dieser sogar. Wenn mehr Bäuerinnen und Bauern ihre Pflanzen wirksam ökologisch schützen sollen, braucht es deshalb dringend eine angepasste Zulassung, die Naturstoffe sorgfältig prüft und gleichzeitig deren Charakter gerecht wird. Die geringe Menge an ökologischen Pflanzenschutzmitteln macht deren Entwicklung und teure Zulassung für viele Hersteller wirtschaftlich unattraktiv – die öffentliche fi nanzielle Unterstützung bei der Weiterentwicklung von öko-konformen Mitteln ist daher unentbehrlich, damit mehr Bäuerinnen und Bauern ihre Pflanzen umweltfreundlich gesund erhalten können. Ein großes Problem für Bio-Betriebe – und auch für den Anbau konventioneller Arzneipflanzen oder dem Gemüseanbau für Babynahrung – sind Kontaminationen durch synthetische Pestizide, z. B. durch Abdrift oder Ferntransport von konventionell bewirtschafteten Flächen. Nicht immer sind diejenigen, die Belastungen verursacht haben, zweifelsfrei zu ermitteln – die geschädigten Bio- Betriebe bleiben auf den Kosten für ihre Produktion und für die Analysen sitzen. Solange chemischsynthetische Pestizide großflächig erlaubt sind und es kein bundesweites Monitoring der dadurch verursachten ubiquitären Belastung mit Pestizidrückständen gibt, wird dieses Problem weiter zunehmen.

Ernährungswirtschaft:
Bio bringt Wertschöpfung in die Regionen

Die Bio-Milchbäuerin ist auf eine Bio-Molkerei angewiesen, die aus ihrer Öko-Milch Produkte herstellt. Der Bio-Ackerbauer braucht Mühlen, Bäcker oder Brauereien, die sein Getreide verarbeiten. Und wie zentral Qualitäts-Schlachthöfe und -Betriebe, die Fleisch verarbeiten, für die Höfe sind, zeigen die Auswirkungen der Corona-Pandemie deutlich. Bio-Rohstoffe sind vielfältig – durch die vielgliedrige Fruchtfolge und auch die jeweilige Anbausituation. Um diese Vielfalt zu Lebensmitteln veredeln zu können, braucht es Unternehmen mit dazu passender Struktur, innovativer Technik und Know-how. Das Grundprinzip erfolgreicher und resilienter Bio-Wertschöpfungsketten: Bio-Herstellerinnen und -Hersteller verarbeiten vor allem regional erzeugte Rohstoffe und vermarkten ihre Produkte auch über die Region hinaus. Die Politik berücksichtigt regionale Wertschöpfungsketten bisher viel zu wenig. Die Folge: Parallel zum Höfesterben in der Landwirtschaft schrumpft auch die Anzahl der Lebensmittelherstellerinnen und -hersteller drastisch, die verbliebenen Strukturen werden immer größer und können vielfältige Qualitätsanforderungen, wie sie beim Bio-Anbau entstehen, nicht bewältigen. Denn Vielfalt auf dem Acker erfordert auch Vielfalt in der Lebensmittelherstellung. Deshalb braucht es eine vielseitig strukturierte Ernährungswirtschaft, um die Öko- Ziele von EU, Bund und Ländern zu erreichen.

Anders als in der Landwirtschaft gibt es für Bio-Unternehmen, die Lebensmittel herstellen, keine gezielte Unterstützung wie Umstellungs- oder Beratungsförderung. Betriebe, die in die Öko-Verarbeitung einsteigen wollen, können nur auf die allgemeine Wirtschaftsförderung z.B. im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) oder auf die Programme zur Verbesserung der Marktstruktur in der „Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz” (GAK) zurückgreifen. In der GRW-Förderung von Bund und Ländern spielen ökologische bzw. Nachhaltigkeitsaspekte jedoch so gut wie keine Rolle – ob Unterstützung für eine Bio-Mühle oder ein Kohlekraftwerk beantragt wird, macht fast keinen Unterschied. Und in der GAK werden schon im bundesweiten Rahmenplan so aufwendige Bedingungen an eine Förderung geknüpft, dass es für kleine oder mittlere Öko-Hersteller unattraktiv wird, sich überhaupt auf Unterstützung zu bewerben. Andere EU-Staaten wie etwa Österreich zeigen schon, wie mit intelligent übersetzter EU-Förderung Bio-Unternehmen einfach und wirksam unter die Arme gegriffen werden kann, um den Absatz und die Wertschöpfung landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu verbessern. Auch Dänemark unterstützt Öko-Unternehmen, etwa bei der Entwicklung innovativer und attraktiver Produkte und trägt dazu bei, dass dort der Umsatzanteil mit Bio-Lebensmitteln bereits fast dreimal so hoch ist wie in Deutschland.

    Ernährung:
    Wirksame Ernährungspolitik für Gesundheit, Gerechtigkeit und Umweltschutz

    Welche zentrale Bedeutung eine gute, nachhaltige Ernährung für die menschliche Gesundheit, für Gerechtigkeit, Klima- sowie Biodiversitätsschutz und das Portemonnaie der Bürgerinnen und Bürger hat, schrieb der WBAE mit seinem Gutachten „Politik für eine nachhaltigere Ernährung“ den Regierenden ins Stammbuch. Etwa 100 Milliarden Euro – über 25 % eines Bundeshaushalts – verschlingen ernährungsbedingte Erkrankungen und ihre Folgen jedes Jahr. Wirksame Ernährungspolitik findet trotz allem nicht statt. Aus dem Gesundheitsministerium gibt es dazu praktisch gar keine Äußerungen. Den Milliarden-Werbebudgets für ungesunde, nicht nachhaltige Nahrungsmittel stehen wenige Millionen Euro für Information auf Seiten der staatlichen Stellen gegenüber. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie zur Reduktion von Fett, Zucker oder Salz in Fertiggerichten oder ein NutriScore, der Bio-Produkte und eine vollwertige Ernährung diskriminiert, ändern nichts am grundsätzlich nicht nachhaltigen Ernährungsverhalten hierzulande, mit zu hohem Fleischkonsum und zu wenig Obst und Gemüse – zu letzten beiden greifen deutsche Männer am wenigsten im Europavergleich.

    Ohne eine kohärente ernährungspolitische Strategie und einen integrierten Politikansatz aller notwendigen Ressorts, den die Wissenschaft seit Jahren einfordert, werden eine nachhaltige und gesunde Ernährung sowie geringere Gesundheitskosten weiter unerreicht bleiben. Entscheidend Bildungs- und Informationsmaßnahmen mit gesünderen Angeboten in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung Hand in Hand gehen. Die Food Schools in Kopenhagen zeigen eindrucksvoll, wie durch eine intelligente Verknüpfung von investiven Maßnahmen ein nachhaltiges Ernährungsverhalten in Kombination mit einer hohen Wertschätzung für Lebensmittel realisiert werden konnte.

    »Eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ist sinnvoll, sie
    ist möglich, und sie sollte umgehend begonnen werden.«

    WBAE 2020

    Die Maßnahmen umfassten Frischeküchen, kulinarisch und pädagogische Konzepte (etwa die Etablierung einer hochwertigen Bio-Schulverpflegung und Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an der Zubereitung des Schulessens). All dies ließ sich innerhalb weniger Jahre realisieren und brachte ein größeres Verständnis für die heimische Landwirtschaft sowie die Herstellung und Zubereitung des Essens. Und Kopenhagen schaffte noch mehr: Unter dem Motto „Jeder hat ein Recht auf gutes Essen!“ stellte die dänische Hauptstadt in nur acht Jahren die gesamte öffentliche Verpflegung – von der Kinderkrippe bis zur Seniorenresidenz – auf eine leckere Frischküche mit 90 % Bio-Anteil um. Die Kosten der Umstellung: 1 Euro pro Einwohner und Jahr, weil vor allem die Verarbeitungs- und Zubereitungskompetenz der Küchen verbessert, regionale und saisonale Rohstoffe verkocht sowie Lebensmittelverluste und -reste reduziert wurden.

    Entwicklung von Land und Stadt:
    Ländliche Regionen mit Bio zu Wirtschaftsmotoren machen

    „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ verlangt das Grundgesetz in Artikel 72 für ländliche wie für urbane Regionen. Damit Dörfer und Kommunen an Zugkraft gewinnen, braucht es mehr als schnelles Internet, Ehrenamtsförderung oder eine strukturpolitisch ausgewogene Verteilung von Behörden. Der Staat muss auf intelligente Weise Akteure und Strukturen fördern, die sich für mehr Nachhaltigkeit engagieren, damit Regionen nicht nur ein paar Jahre, sondern dauerhaft wirtschaftlich und gesellschaftlich belebt und gestärkt werden – und dabei das Land nicht (weiter) von der Stadt isolieren, sondern wirksam Brücken schlagen. Bio kann in ländlichen Regionen wirtschaftliche Wachstumsimpulse setzen. Eine Branche, die Bedarf an einer Vielzahl von Mitarbeitenden unterschiedlichster Talente hat, die positiv auf die Umwelt vor Ort und die Lieferketten wirkt, ein Sektor mit Zukunft, der in Stadt und Land gleichermaßen „funktioniert“. Die stetig steigende Zahl an Bio-Unternehmen in den Regionen und der parallel steigende Absatz in den Zentren macht deutlich: Heute gelten Bio-Bäcker und -Bauern, Bio-Müllerin oder -Molkereigeschäftsführerin gerade im ländlichen Raum als sichere Arbeitgebende, setzen Impulse für die nachhaltige Entwicklung ihrer Umgebung und werden für ihre guten, umwelt-, klima- und tierfreundlichen  Lebensmittel wertgeschätzt. Attraktive, artenreiche Bio-Kulturlandschaften machen das Leben auf dem Land noch attraktiver – für die Menschen vor Ort und für Touristen. Eine ambitionierte Politik für den ländlichen Raum braucht eine klare Zuständigkeit in der Bundesregierung und die Weitsicht, die Förderwürdigkeit von Regionen durch mehr als nur wenige ökonomische Kennzahlen zu definieren. Vor allem dürfen die begrenzten öffentlichen Gelder nicht länger für Projekte oder Strukturen vergeudet werden, die aufgrund ihrer ökologischen Risiken oder fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz keine Zukunft haben und damit das Gemeinwohl auf Dauer schwächen, statt es zu stärken.

    Ausbildung:
    Ohne Ausbildung kein Know-how: Bio in die Berufsschulen!

    Im Ökolandbau werden kritische Inputs wie synthetische Düngemittel oder Pestizide durch Wissen und Können ersetzt. Das Ziel von 20 bzw. 25 % Öko-Fläche kann zeitnah nur erreicht werden, wenn dafür ausreichend bio-qualifizierte Fachkräfte ausgebildet werden. In der Bio-Ernährungswirtschaft ist trotz oder gerade wegen der technologischen Weiterentwicklung eine solide handwerkliche Ausbildung der Beschäftigten Voraussetzung für die Verarbeitung vielfältiger, heimischer Rohstoffe zu hochwertigen Bio-Lebensmitteln. Allein der Naturkostfachhandel hat in den letzten Jahren tausende neue Stellen geschaffen und braucht auch weiterhin dringend gut ausgebildetes Fachpersonal. Und auch im traditionellen Lebensmitteleinzelhandel oder der Gastronomie wachsen mit den Bio-Sortimenten die Anforderungen an die Bio-Kompetenz der Beschäftigten. Bisher wird in zu wenigen Berufs-, Fach- und Hochschulen in Deutschland Öko-Fachwissen vermittelt bzw. geprüft. Der Großteil der angehenden Landwirtinnen, Bäcker, Agraringenieurinnen, Müller, Köchinnen oder Lebensmitteleinzelhandels-Kaufleute durchläuft Lehre oder Studium ohne Bio-Inhalte – auch, weil bisher entsprechend qualifizierte Lehrkräfte fehlen.

    Forschung und Entwicklung:
    Forschung für Bio stärken

    Nach wie vor werden weniger als 2 % der öffentlichen Agrar-Forschungsmittel in Bio-Forschung investiert – obwohl aktuell 10 % der deutschen Agrarfläche von 13 % der Betriebe ökologisch bewirtschaftet werden. Das Ziel von 20 bzw. 25 % Öko-Fläche kann bis 2030 jedoch nur erreicht werden, wenn sich der Fokus der Agrar-Forschung stärker auf Öko-Forschungsfragen richtet. Die öffentliche Forschung ist für Bio besonders bedeutend, da das System Bio auf wissensintensive Verfahren aufbaut, statt auf externe Betriebsmitteln wie Pestizide oder Kunstdünger zu setzen. Bio-Höfe profitieren systembedingt nicht von Investitionen durch z. B. Agrochemie-Unternehmen.

    Um die Produktivität und Nachhaltigkeit der Öko-Produktion weiter zu steigern, braucht es Forschung zu innovativen Anbausystemen – mit noch vielfältigeren Fruchtfolgen oder Mischkulturen. Es braucht Forschung zu Agroforstsystemen, zur Bio-Pflanzenzüchtung und zu Hightech-Verfahren wie solarbetriebenen Jät-Robotern sowie zu einer noch umweltschonenderen Öko-Tierhaltung mit angepassten Rassen. Gleiches gilt für neue Verfahren in der Ernährungswirtschaft, die auf die innovative Herstellung von vielfältigen Bio-Lebensmitteln aus heimischen Rohstoffen und auf hohe Produktqualität und -Sicherheit ausgerichtet sind – ohne dafür problematische oder unerwünschte Zusatzstoffe, Zutaten oder Verfahren einzusetzen. Das rechtlich klar definierte Bio-System bildet einen hervorragenden Rahmen für neue Innovationen und Technologien mit hoher gesellschaftlicher Akzeptanz, von denen die gesamte Land- und Lebensmittelwirtschaft nachhaltig profitiert. Bisher ist das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN) das zentrale Förderinstrument des Bundes für die Öko-Forschung. Die Bio-Flächenziele des Bundes spiegeln sich jedoch nicht in der Höhe des BÖLN-Budgets wider. Deshalb werden viele Öko-Forschungsprojekte trotz positiver Begutachtung nicht, nur stark reduziert oder verzögert bewilligt, trotz einer hohen Innovationsbereitschaft und -fähigkeit der Bio-Bäuerinnen, -Berater und -Unternehmen. Unzureichende Öko-Forschungsfördermittel und -infrastrukturen führen heute bereits zu einem Innovationsstau, der Deutschland im europäischen und globalen Bio-Wettbewerb zurückwerfen könnte. Schon jetzt droht der Bundesrepublik, ihren Stammplatz als größter Bio-Markt in Europa an Frankreich zu verlieren.