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Pressemitteilung

Bio-Bilanz: Daumen runter! Viel gesagt, zu wenig getan

BÖLW bewertet Bundesregierung & stellt Grundsatzpapier zur Bundestagswahl vor

Berlin, 20.01.2021. Anlässlich der Internationalen Grünen Woche zieht der Bio-Dachverband Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) Bio-Bilanz und fragt: Wie schneidet die Bundesregierung ab?

BÖLW-Vorsitzender, Felix Prinz zu Löwenstein, bewertet die Arbeit der Bundesregierung über die letzten vier Jahre:

Bilanz: Überwiegend kritisch!

Wissenschaftliche Akademien ebenso wie Bürgerinnen und Bürger, die Volksbegehren unterstützen – alle wissen, dass wir einen grundsätzlichen Umbau unseres Agrar- und Ernährungssystems brauchen. Auch den demonstrierenden Bäuerinnen und Bauern ist klar, dass es so nicht weitergehen kann. Denn Landwirtschaft verschärft, genau wie unser Konsum, die großen Krisen unserer Zeit – von Klimakrise über Artensterben bis zur Belastung des Wassers. Ich kann aber nicht erkennen, dass unsere Regierung entschlossen umsteuern würde. Wo Brüssel mit Strafen droht, wird reagiert. Es mangelt auch nicht an Projekten von ‚NutriScore‘ bis ‚Zu gut für die Tonne‘. Doch sind das Bausteine eines Umbauprojektes, das die Zukunft auf den Höfen und in unserer Umwelt sichert? Wird für die Unternehmen in der Landwirtschaft und der Ernährungsbranche sichtbar, wohin die Reise führt? Diese Fragen bleiben durch die zuständige Bundesministerin Julia Klöckner unbeantwortet.

Die Bundesregierung hat mit dem Ziel ‚20% Bio bis 2030‘ klargemacht: Es braucht eine starke Ökologische Lebensmittelwirtschaft, um all die drängenden Probleme anzugehen. Bundesministerin Klöckner hat zu einer positiven Entwicklung des Europäischen Bio-Rechtes beigetragen. Bio boomt, weil immer mehr Menschen, gerade auch in Pandemiezeiten, bewusst wird, welche Auswirkungen ihre Ernährung auf die Umwelt hat. Aber mit einer zukunftsfähigen Agrar- und Ernährungspolitik abzusichern, dass mehr Bauern und Lebensmittelbetriebe auf Öko umstellen können, das fehlt. Ebenso fehlt die Bereitschaft, alle Politikinstrumente, wie die Beschaffung durch die öffentliche Hand oder den Ausbau der Forschung, auf das Bio-Ziel auszurichten.“


Alexander Gerber, BÖLW-Vorstand für Landwirtschaft, kommentiert die aktuelle Zuspitzung im Sektor: „Auf der einen Seite spitzen sich die Klima- und Artenkrise weiter zu und bedrohen auch die Landwirtschaft. Andererseits sind Bio-Bäuerinnen und -Bauern sowie immer mehr konventionelle Kollegen bereits auf dem Weg zu einer enkeltauglichen Landwirtschaft.”

Gerber startet mit der Bilanz zur Agrarpolitik (GAP):

Bilanz: Kritisch!

Die Gemeinsame EU-Agrarpolitik (GAP) entscheidet mit Milliarden Euro an Steuergeldern, welche Landwirtschaft sich lohnt. Damit Bäuerinnen und Bauern, Wirtschaft und Umwelt im Land eine Zukunft haben, müssen jetzt die Weichen auf Nachhaltigkeit gestellt werden. 

Die laufende GAP hat die großen Herausforderungen, vor der die Landwirtschaft steht, nicht gelöst. Die Agrargelder fließen an immer mehr außerlandwirtschaftliche Investoren. Auch Umweltprobleme der Landwirtschaft verschärft die GAP vielerorts anstatt sie zu lösen. Wir verlieren weiter viel zu viele Höfe. Gut ist, dass Bund, Länder und EU weitgehend dafür gesorgt haben, dass die Betriebe, die auf Bio umstellten, einen Ausgleich für ihre Umweltleistungen erhalten.

Die GAP-Reform läuft Gefahr, den schlechten Status quo zu zementieren anstatt Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen, die stärker klima-, tier- und umweltfreundlich wirtschaften wollen. Zu spät ist es aber noch nicht! Die EU-Staaten, die -Kommission und das -Parlament können beim GAP-Trilog noch umsteuern. Und Deutschland muss mit einem ambitionierten, nationalen Strategieplan alle Spielräume konsequent nutzen, um Bio zu stärken. Denn Öko bietet den Höfen und Unternehmen eine echte Chance, ihre Betriebe zukunftsfähig aufzustellen und gleichzeitig das Gemeinwohl zu stärken. Allerdings ist immer noch unklar, wie Deutschland die GAP ab 2023 gestalten wird.“

Mehr Infos: https://www.boelw.de/themen/eu-agrarpolitik/reform-2020/.
 

Düster sieht Gerber die Arbeit der Bundesregierung beim Thema Gentechnik:

Bilanz: Kritisch!

Trotz des Urteils des höchsten EU-Gerichts, das CrisprCas und Co. als Gentechnik einstufte, bleibt Deutschland untätig. Statt aktiv zu werden, argumentiert Klöckners zuständige Behörde, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, man könne neuartige Gentechniken ohne Nachweisverfahren nicht regulieren. 2020 hatten dann die, die Gentechnik gar nicht nutzen, für ein Nachweisverfahren gesorgt – auch das wirft ein schlechtes Licht auf die Landwirtschaftsministerin. Fakt ist: Die Herausforderungen wie Klima-Krise, Hunger oder Artensterben bleiben mit Gentechnik ungelöst. Eine gentechnikfreie Produktion stärkt die deutsche Ernährungswirtschaft. Und Kundinnen und Kunden bestätigen bei jeder Umfrage, dass sie keine Gentechnik auf dem Acker und dem Teller wollen. Deutschland muss dafür sorgen, dass das geltende Gentechnikrecht umgesetzt wird – dazu gehört, dass diejenigen, die Gentechnik-Gewächse auf den Markt bringen, auch ein Nachweisverfahren anbieten müssen."

Mehr Infos zum Thema: https://www.boelw.de/themen/gentechnik/.
 

Gerbers Bilanz beim Thema Forschung:

Bilanz: Durchwachsen!

Gut ist, dass es immerhin keine Rückschritte gab. Beim kleinen Bio-Fördertopf, dem Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN), wurde ein wenig mehr Geld ins Säckel getan und es darf auch in längerfristige Forschungsprojekte investiert werden. Beides ist wichtig, genügt aber hinten und vorne nicht, um den Innovationsstau im Bio-Bereich aufzulösen. Nach wie vor investiert Deutschland weniger als 2 % der öffentlichen Agrar-Forschungsmittel in Bio-Forschung – obwohl 10 % der deutschen Agrarfläche und 13 % der Betriebe ökologisch bewirtschaftet werden. Das EU-Ziel von 25 % Öko-Fläche können wir bis 2030 jedoch nur erreichen, wenn sich der Fokus der Agrar-Forschung stärker auf Öko-Forschungsfragen richtet. Wer mehr Bio will, muss Öko-Forschung stärken, bei der Finanzierung und der Infrastruktur.“

Mehr Infos zum Thema: https://www.boelw.de/themen/forschung-bildung/.


BÖLW-Vorstand für Herstellung, Volker Krause, weist auf die Leerstelle zwischen Acker und Ladenkasse hin: „Die Bundesregierung hat die ökologische Ernährungswirtschaft, die als Wirtschaftsmotor gerade im ländlichen Raum wirken kann, überhaupt nicht auf dem Schirm. Auch das Potenzial, was in Bio für nachhaltige Ernährung steckt, haben Julia Klöckner und ihre Kolleginnen und Kollegen nicht gehoben.“
 

Krauses Bilanz startet mit dem Thema Wirtschaftspolitik:

„Bilanz: Kritisch!

So wird das nichts mit Green Deal. Deutschland ist weit entfernt von nachhaltiger Wirtschaftspolitik. Das merken etablierte Bio-Hersteller genauso wie Bio-Start-ups. Veraltete Indikatoren, die Wirtschaftserfolg in Patenten oder BIP messen, ignorieren, dass Wirtschaft heute vor allem nachhaltig sein muss. Wenn die Wirtschaftsförderung nicht entschlossen den Fokus auf nachhaltige Unternehmen richtet, läuft etwas grundsätzlich falsch. Diese veraltete Wirtschaftspolitik gefährdet die Zukunft Deutschlands. 

Die Politik ignoriert regionale Wertschöpfungsketten. Die Folge: Parallel zum Höfesterben sinkt die Zahl der Lebensmittelherstellerinnen drastisch. Tausende Mühlen, Molkereien, Bäckereien oder Metzgereien haben in den letzten Jahrzehnten dichtgemacht. Die Standort-Schließungen schwächen die regionale Resilienz, Arbeitsplätze und Wertschöpfung gehen verloren, die Regionen werden ‚abgehängt‘. Die verbliebenen Groß-Strukturen können nur mit standardisierten Rohstoffen arbeiten, nicht mit kleinen Bio-Partien oder Spezialitäten aus der Region. Eine vielfältig strukturierte Ernährungswirtschaft ist deshalb entscheidend für die Erreichung der Öko- und Nachhaltigkeitsziele von Bund und Ländern.

Wir brauchen auch für Bio-Hersteller gezielte Unterstützung, so wie in Österreich oder Dänemark, wo Bio-Fläche und -Konsum deutlich höher sind als bei uns. Und wahre Preise für eine echte Marktwirtschaft!“

Beim Thema Ernährung stellt Krause der Bundesregierung folgendes Zeugnis aus:

„Bilanz: Kritisch!

Eine gute, nachhaltige Ernährung ist wichtig für unsere Gesundheit, Klima- und Artenschutz, soziale Gerechtigkeit und das Portemonnaie der Bürgerinnen und Bürger. Die Initiative BioBitte zur Gemeinschaftsverpflegung ist sinnvoll, aber wenig ambitioniert – 20 % Bio schafft heute jeder Kindergarten. Insgesamt wurde zu viel geredet und zu wenig gehandelt. Aus dem Gesundheitsministerium hörte man, auch vor Corona, gar nichts. 

Das Ergebnis: 100 Mrd. € Kosten für ernährungsbedingte Krankheiten pro Jahr. Warum? Weil ein NutriScore, der Bio diskriminiert und Kunden mit ‚grünem‘ Sahneeis oder ‚grüner‘ Salami-Pizza in die Irre führt, die nachhaltige Wahl eben nicht einfacher macht. 

Das alles reicht nicht. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Agrarpolitik und Ernährung sagt es deutlich: Es braucht eine umfassende Transformation des Ernährungssystems. Es braucht mehr als 20 % Bio in den Kantinen – angefangen in den eigenen Ministerien. Und ohne kohärente, ernährungspolitische Strategie, ohne praxis-orientierte Ernährungsbildung und ohne integrierten Politikansatz bleiben eine nachhaltige Ernährung und niedrige Gesundheitskosten schöne Träume. Beispiele wie die Food Schools in Kopenhagen zeigen, wohin die Reise gehen muss.“

Mehr Infos zum NutriScore auf https://www.boelw.de/news/boelw-zur-einfuehrung-des-nutriscore-in-deutschland.


Marcus Wewer zieht Bio-Bilanz als Vorstand Handel: „Essen ist politisch“, sagt Wewer. „Fairen Wettbewerb und mehr Nachhaltigkeit im Lebensmittelhandel gibt es nur mit wahren Preisen und politischen Rahmenbedingungen, die Bio vom Acker bis an die Ladenkasse fördern.“
 

Wewers Bilanz zum Thema Tierhaltung:

„Bilanz: Kritisch!

Klöckner hat die Herausforderungen zwar erkannt. Die von ihr eingesetzte Borchert-Kommission hat einen Umbauplan für die gesamte Tierhaltung vorgelegt und sie hat in Europa Unterstützung für eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung erreicht. Statt diese Projekte aber energisch weiter zu verfolgen, laboriert Julia Klöckner weiter an einem freiwilligen Label, das die Menschen beim Einkauf verwirren und nur für einen kleinen Teil der Tiere Erleichterung bringen wird. Und die Bio-Tierhaltung, die im Stall ebenso wie an der Ladentheke bereits umsetzt, was sie erreichen will, kommt in ihren Plänen gar nicht vor. Klöckner muss jetzt den Hebel umlegen und dafür sorgen, dass der Umbauplan von Borchert finanziert wird, dass eine verpflichtende, europäische Kennzeichnung der Tierhaltung wie beim Ei erfolgt und dass Bio als höchster, gesetzlicher Tierhaltungsstandard weiter seinen Teil zum Umbau beitragen kann."

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/tier/.
 

Die Bilanz Wewers zum Bio-Recht:

Bilanz: Durchwachsen!

Starten wir positiv und mit dem Erfolg, dass die Anwendung der neuen Öko-Verordnung mit Unterstützung von Julia Klöckner um ein Jahr verschoben wurde. Dadurch können die wichtigen Detailregeln mit Qualität ausgearbeitet werden. Wirtschaft und Kontrollstellen bleiben mit der Verschiebung genug Zeit sich anzupassen. 

Bei der nationalen Umsetzung des neuen Bio-Rechts, dem Ökolandbaugesetz (ÖLG), muss aber noch viel am vorgelegten Entwurf passieren, damit er Bio stärkt. Wichtig ist, dass der Bund mehr Verantwortung im Bereich der Bio-Kontrolle übernimmt und die Länder entlastet. Wichtig ist auch, dass die Regelung für die Kontrolle der Außer-Haus-Verpflegung erweitert wird und es den Küchen erlaubt, ihren Bio-Anteil auszuloben und Klöckners Initiative BioBitte zu stützen.

Wie auch beim EU-Bio-Recht muss beim ÖLG Qualität vor Schnelligkeit gehen. Zu wichtig sind die Regelungen für die Bio-Betriebe, um sie hastig durchzupeitschen.“

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/eu-oeko-verordnung/.


Felix Löwenstein betont abschließend:

„Das Superwahljahr 2021 fällt mitten in eine Zeitenwende, die durch Corona-, Klima- und Artenkrise mitbestimmt wird. Gerade Corona zeigt uns: Politik kann gestalten, wenn sie will. Regierende können entschieden und schnell entscheiden. Und: Dass Veränderungsbereitschaft da ist, zeigen auch immer mehr Bäuerinnen, Lebensmittelhersteller und Händlerinnen, die ihre Unternehmen auf Bio umstellen. Immer mehr Kundinnen und Kunden unterstützen den ‚Umbau von unten‘, indem sie immer mehr Bio-Produkte einkaufen.

Damit diese und vor allem die nächste Bundesregierung ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen kann und der Sektor resilient wird, müssen die Weichen für die Land- und Lebensmittelwirtschaft und für unsere Ernährung neu gestellt werden. Die Richtung: Gesunde Ernährung, Arten-, Klima-, Wasser-, Boden- und Tierschutz sowie sinnstiftende Arbeit in zukunftssicheren Unternehmen. Was dafür fehlt? Eine Politik, die konsequent und kohärent die Weichen auf Bio stellt, vor allem auch auf Bundesebene. Entscheidend dabei: Ein integrierter Politikansatz, der alle notwendigen Bereiche und Ressorts einbindet – von der Agrar- und Ernährungspolitik über die Umwelt- und Entwicklungspolitik bis hin zur Wirtschafts- und Sozial-, Bildungs- und Forschungspolitik.“

Alle Themen und Forderungen finden Sie im „BÖLW-Grundsatzpapier zur Bundestagswahl 2021“ auf www.boelw.de/btw2021.

Alle Pressemeldungen auf https://www.boelw.de/presse/meldungen/.


12.906 Zeichen, Veröffentlichung honorarfrei, um ein Belegexemplar wird gebeten, Ansprechpartner: Pressestelle BÖLW, Joyce Moewius, + 49 30 28482-307, Email: presse[at]boelw.de;

Der BÖLW ist der Spitzenverband deutscher Erzeugerinnen, Verarbeiter und Händlerinnen von Bio-Lebensmitteln und vertritt als Dachverband die Interessen der Ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland. Mit Bio-Lebensmitteln und -Getränken werden jährlich von 50.000 Bio-Betrieben über 12 Mrd. Euro umgesetzt. Die BÖLW-Mitglieder sind: Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller, Biokreis, Bioland, Biopark, Bundesverband Naturkost Naturwaren, Demeter, Deutscher Tee & Kräutertee Verband, Ecoland, ECOVIN, GÄA, Interessensgemeinschaft der Biomärkte, Naturland, Arbeitsgemeinschaft der Ökologisch engagierten Lebensmittelhändler und Drogisten, Reformhaus®eG und Verbund Ökohöfe.