Lüneburg/Berlin, 21.01.2019.
Sehr geehrte Bundesministerin Klöckner,
wir schreiben Ihnen, um unsere Bedenken über die EU-weite lückenhafte Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 25. Juli 2018 (C-528/16) bezüglich neuer Gentechnik-Verfahren zum Ausdruck zu bringen. Außerdem möchten wir unsere Ansichten zu der von der finnischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagenen Studie „zu den rechtlichen Möglichkeiten im Lichte des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache C-528/16" darlegen. [1]
Das EuGH-Urteil muss in allen Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt werden.
Der Europäische Gerichtshof hat am 25. Juli 2018 geurteilt, dass die Gesetzgebung der Europäischen Union über genetisch veränderte Organismen (GVOs) auch für GVOs gilt, die mittels „Genome Editing" (z.B. CRISPR/Cas, ODM, TALEN und ZFN) hergestellt werden. Der Gerichtshof bestätigte auch, dass nur Organismen, die mit Techniken hergestellt wurden, die „herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen verwendet wurden und seit langem als sicher gelten", vom EU-GVO-Recht ausgenommen werden können.
Wir haben diese Entscheidung begrüßt, weil damit klargestellt wurde, dass alle GVOs (alte und neue) den Verpflichtungen zu Risikobewertung, Zulassung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung unterliegen. Das ist unerlässlich, weil die Überprüfung unerwarteter Effekte von „Genome Editing“ nicht der Industrie überlassen werden darf, wie ein aktuelles Beispiel mittels „Genome Editing“ veränderten
Rindern eindrucksvoll zeigt. [2] Eine durchgängige Kennzeichnung ist auch der einzige Weg, Wahlfreiheit, Transparenz und Rückverfolgbarkeit für Züchter*innen, Bäuerinnen und Bauern, Lebens- und Futtermittelhersteller*innen, Händler*innen und Konsument*innen zu gewährleisten. Das betrifft daher die große Mehrheit an Akteur*innen, die gentechnikfreie Lebensmittel erzeugen, sei es biologisch oder konventionell.
Anscheinend wird das letztjährige EuGH-Urteil aber nicht in allen EU-Mitgliedstaaten einheitlich umgesetzt. Im April erklärten eine Reihe von nationalen Regierungsbeamt*innen, dass sie "nicht in der Lage sind, alle ihre Verpflichtungen zur Durchführung von Kontrollen zu erfüllen, und dass sie daher nicht in allen Fällen für Mängel bei der Durchsetzung verantwortlich gemacht werden können". [3]
Die praktischen Probleme bei der Umsetzung des Urteils können überwunden werden.
Immer wieder wird behauptet, dass das EuGH-Urteil "schwer" oder gar "unmöglich" umzusetzen sei, da GVOs, die aus neuen gentechnischen Verfahren stammen, schwerer nachzuweisen seien. Diese vermeintlichen praktischen Probleme können jedoch überwunden werden:
- Bekannte Veränderungen können nachgewiesen werden. Zwei mittels „Genome Editing“ hergestellte Pflanzen sind bereits auf dem Markt, wie der Raps (SU Canola von Cibus, hergestellt mit ODM) und Soja (High-Oleic Soybean von Calyxt, hergestellt mit TALEN). Der Cibus-Raps wird in den USA und Kanada angebaut, die Calyxt-Sojabohne in den USA. Diese Produkte sind nachweisbar, wenn „Vorkenntnisse über die veränderte Genomsequenz, ein validiertes Nachweisverfahren (...) und zertifizierte Referenzmaterialien vorhanden sind", so ein EU-Bericht vom 26. März 2019. [4]
- Es ist möglich, Nachweismethoden für unbekannte Produkte zu entwickeln. Neue Studien zeigen, dass Methoden zur Identifizierung von mittels „Genome Editing" hergestellten Produkte, auf den „Narben" oder „Kollateralschäden" beruhen könnten, die der genutzte gentechnische Prozess verursacht. [5] Nachweismethoden könnten auch auf „emerging sequencing-based analysis" basieren, so Wissenschaftler*innen der Europäischen Kommission und von DowDuPont. [6]
- Nationale Behörden können Dokumentation verlangen. Wenn es (noch) keine technischen Hilfsmittel zur Erkennung der Produkte geben sollte, kann die Regulierung „auf einem System von zertifizierten Erklärungen, Rückverfolgbarkeit usw. basieren", so deutsche RegierungsvertreterInnen und DowDuPont. Sie kommen zu dem Schluss, dass „sich die Nachweisbarkeit von mit „Genome Editing“ hergestellten Produkten, die den Markt erreichen könnten, nicht wesentlich von der von GVOs unterscheidet und daher gegebenenfalls durch die bereits bestehenden internationalen Instrumente und technischen Instrumente abgedeckt wäre". [7]
Wir appellieren daher an Sie,
- einzufordern, dass die Einfuhr von Raps und Soja aus den USA und Kanada als frei von neuen GVOs zertifiziert werden muss, die in der EU nicht zugelassen sind
- die nationalen Behörden anzuweisen, die notwendigen Kontrollen durchzuführen [8]
- darauf zu bestehen, dass das EU-Netzwerk von GVO-Laboratorien Methoden und Strategien entwickelt, um unbekannte mittels „Genome Editing“ hergestellte Produkte zu identifizieren (Standardnachweisverfahren). Die EU-Kommission soll hierfür möglichst zeitnah ein Mandat erteilen und Finanzen bereitstellen
- mit der Europäischen Kommission und anderen EU-Minister*innen Möglichkeiten für zuverlässige nicht-technische Lösungen des Nachweises zu erörtern
- die Hersteller von neuen GV-Produkten aufzufordern, Nachweismethoden, Referenz- und Kontrollmaterial zu liefern
- eine internationale Datenbank zu schaffen, in der Forscher und Entwickler – unter anderem – ihre neue GV-Produkte, die verwendeten Verfahren und die veränderte Sequenz eintragen
Die von der finnischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagene Studie „zu den rechtlichen Möglichkeiten im Lichte des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache C-528/16" [9] darf kein Vorwand sein, die Umsetzung dieses Urteils zu verzögern.
In der gegenwärtigen Situation sind wir besorgt, dass die vorgeschlagene Studie die Umsetzung des Urteils weiter verzögern könnte. Das würde bedeuten, dass nicht zugelassene mittels „Genome Editing“ hergestellte GVOs zwischenzeitlich auf den europäischen Markt gelangen könnten, ohne dass europäische Züchter*innen, Bäuerinnen und Bauern, die Lebensmittelverarbeiter*innen, der
Handel und Konsument*innen die Möglichkeit hätten diese zu erkennen. Wird die Studie vom Europäischen Rat in Auftrag gegeben, so sollte diese sich vielmehr mit den möglichen Auswirkungen einer breiteren Anwendung von „Genome Editing" auf folgende Themen beschäftigen:
- die Gewährleistung des Rechts von Bäuerinnen und Bauern, Saatgut nachzubauen und Tiere zu züchten, sowie die Gewährleistung des Zugangs zu pflanzengenetischen Ressourcen - angesichts der Patente und Lizenzvereinbarungen für die neuen Techniken
- die Verhinderung einer weiteren Konzentration auf dem europäischen Saatgutmarkt, der derzeit von einer Vielzahl von Unternehmen beliefert wird, darunter viele kleine und mittlere unabhängige Züchter*innen
- die Möglichkeit, potenziell nachteilige Auswirkungen der neuen GVO´s nach einer Freisetzung oder dem Markteintritt wirksam zu überwachen
- die Sicherstellung der gentechnikfreien Lebensmittelerzeugung
- die chancengleiche Verteilung der Forschungsgelder auch für die konventionelle und ökologische Züchtung
Für Rückfragen stehen wir natürlich gerne zur Verfügung.
Bitte informieren Sie uns über Ihre Positionen und Aktivitäten bezüglich unserer Forderungen.
Georg Janßen
(für die unterzeichnenden Verbände AbL, Bioland, BÖLW, BUND, Gen-ethisches Netzwerk, IG Saatgut, Schrot&Korn, Slow Food und Umweltinstitut München)
Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
Heiligengeiststrasse 28
21337 Lüneburg
[1] Dokument 11347/2/19
[2] MIT Technology Review, Gene-edited cattle have a major screwup in their DNA, August 2019
[3] European Commission, Summary report of the Joint Working Group on the implementation of the CJEU ruling on mutagenesis, 25 April 2019
[4] ENGL, 2019, Report on detection of food and feed plant products obtained by new mutagenesis techniques
[5] Kawall, K., 2019, New Possibilities on the Horizon: Genome Editing Makes the Whole Genome Accessible for Changes
[6] Emons, H. et al, 2018, Challenges for the detection of genetically modified food originating from genome editing
[7] Duensing, N. et al, 2018, Novel Features and Considerations for ERA and Regulation of Crops Produced by Genome Editing
[8] Dafür sollten die nationalen Behörden die spezifischen Nachweismethoden beschaffen und Probenahme- und
Testprotokolle für Einfuhren erstellen, wie sie seit 2009 für aus Kanada eingeführtes Leinsaatgut gelten.
[9] Dokument 11347/2/19