Berlin, 23.11.2020. Peter Röhrig, Geschäftsführer des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), zur neuen Gentechnik:
„Bio als Leitbild etablieren, heißt ökologisch wirksam und ökonomisch vernünftig zu handeln. Gut also, dass die Grünen sich durch uneingelöste Heilsversprechen der Chemieindustrie nicht in Ablenkungsdebatten verwickeln lassen. Und dass die Partei stattdessen den Umbau in Richtung Öko entlang der ‚Prinzipien Tiergerechtigkeit, Gentechnikfreiheit und Freiheit von synthetischen Pestiziden‘* entwickeln will.
Mit ihrem klaren Nein zu Patenten auf Leben bekräftigen die Grünen, Innovation ermöglichen zu wollen, schützen unsere Lebensmittel vor Monopolisierung und sichern die Souveränität von Landwirten und Lebensmittelhandwerkerinnen. Patente sind mit der Gentechnik fast zwingend verbunden. Patente verhindern, dass Bauern und Züchterinnen in der Lage bleiben, Sorten weiterzuentwickeln, etwa mit Blick auf Klimaanpassung vor Ort.
Die notwenige Transformation der Lebensmittelwirtschaft gelingt mit einem breiten Verständnis von Innovation und mit dem Fokus auf bürger- und wirtschaftsfreundliche Politik zwischen Vorsorgeprinzip, Regulierung, verbindlicher Kennzeichnung, Wahlfreiheit und Forschung.“
*Auszug aus dem Beschluss der Delegiertenkonferenz: „(70) Eine zukunftsfähige Landwirtschaft arbeitet mit der Natur. (…) Es darf keine Patente auf Pflanzen und Tiere sowie deren genetische Anlagen geben. Die Zukunft gehört einer klimafreundlichen, kreislauforientierten und regional verwurzelten Landwirtschaft, (…). Sie arbeitet ressourcenschonend, naturverträglich, und orientiert sich am Leitbild der ökologischen Landwirtschaft mit ihren Prinzipien Tiergerechtigkeit, Gentechnikfreiheit und Freiheit von synthetischen Pestiziden. (…) Der notwendige Wandel hin zur zukunftsfähigen Landwirtschaft gelingt nur zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern.“
Hintergrund
In der Partei Bündnis 90 / Die Grünen gab es eine Debatte über die neuen Gentechniken, der Parteitag fasste Beschlüssen zum Thema (s. auch *), ebenso folgende Passage zur Gentechnik:
„(153) (…) Wie bei jeder Technologie muss der politische Kompass zum Umgang mit alten wie neuen gentechnischen Verfahren sein, einerseits die Freiheit der Forschung zu gewährleisten und andererseits bei der Anwendung Gefahren für Mensch und Umwelt auszuschließen. Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum. Es gilt daher, an einem strengen Zulassungsverfahren und am europäisch verankerten Vorsorgeprinzip festzuhalten. Dazu bleiben Risikoprüfungen auf umfassender wissenschaftlicher Basis und eine Regulierung nötig, die unkontrollierbare Verbreitung ausschließen und über eine verbindliche Kennzeichnung die gentechnikfreie Produktion und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen schützen. Entsprechend braucht es eine Stärkung der Risiko- und Nachweisforschung. Gerade im Agrarbereich soll die Forschung zu alternativen Ansätzen, die auf traditionelle und ökologische Züchtungsverfahren setzen, gestärkt werden.“
Neue Gentechnik, Regulierung und Co.
- Im EUGentechnikrecht ist die Risikoprüfung, Kennzeichnung und Verursacherhaftung verankert. Damit wird Züchterinnen, Landwirten, Unternehmen und Kundinnen Wahlfreiheit ermöglicht.
- Der EuGH bestätigte 2018, dass das auch für neuere Gentechnikverfahren gilt, um das Vorsorgeprinzip zu beachten. Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht urteilte 2010, dass dem Gesetzgeber bei der Gentechnik eine ‚besondere Verantwortung‘ aufgrund des ‚tiefen Eingriffs in die Lebensgrundlagen‘ obliegt. (Zur Pressemeldung des EuGH vom 25. Juli 2018, Zum Urteil des EuGH vom 25. Juli 2018)
- Neuen Gentechniken können ohne unabhängige Prüfung nicht harmlos angesehen werden. Denn Verfahren wie CrisprCas können gravierende Veränderungen im Genom und darüber hinaus auslösen. Wie die Genmanipulation auf den Organismus oder die Umwelt wirken, muss deshalb durch eine Risikoprüfung geklärt werden. Genau diese ermöglicht das aktuelle Gentechnikrecht.
- Mit Patenten auf Pflanzen und Tiere können Patentinhaber die unabhängige Risikoforschung verhindern, da sie den Zugang zu entsprechendem Zuchtmaterial verhindern können. Es gibt aktuell keine unabhängige Risikoforschung zur Gentechnik.
- Trotz gegenteiliger Behauptungen: Gentechnikprodukte können in Europa in Verkehr gebracht werden. Sie müssen zuvor nur ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Auch die Forschung an Gentechnikorganismen ist mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen erlaubt und findet statt.
- Gentechnik muss realistisch beurteilt werden: Bis heute ist die neue wie die alte Gentechnik daran gescheitert, Pflanzen mit Resistenzen gegen wirtschaftlich bedeutende Pilzkrankheiten im Getreide, höhere Erträge oder Resilienz gegen Extremwetterlagen zu entwickeln. Denn für solche Eigenschaften genügt es nicht, eines oder wenige Gene zu verändern. Wer jetzt Lösungen für zukunftsfähige Agrarsysteme umsetzten will, sollte auf moderne, ökologische und gentechfreie Züchtungsmethoden setzen, die risikofrei schneller und besser zum Ziel kommen – wie erfolgreiche Praxisbeispiele auf der ganzen Welt belegen.
- BioBetriebe setzten gemäß EU-Öko-Verordnung keine Gentechnik ein. Aufgrund des unzureichend umgesetzten Verursacherprinzips ist die gentechnikfreie Wirtschaft aktuell hohen Analytik- und Warentrennungskosten zur Vermeidung von Gentechnik-Kontaminationen ausgesetzt.
Züchtung ohne Gentechnik und damit ohne Risiken, Nebenwirkungen und Patente bringt schon seit vielen Jahren erfolgreich ertragreiche und angepasste Sorten hervor. Besonders Öko-Züchterinnen und Züchter zeigen, wie innovativ und erfolgreich das Open Source System der Bio-Züchtung ist. Lesen Sie mehr zur Öko-Züchtung in der BÖLW-Position ‚Ökologische Pflanzenzüchtung: Ein Beitrag zu Vielfalt und Resilienz in der Landwirtschaft‘.
1.100 Zeichen (Statement), Abdruck honorarfrei, um ein Belegexemplar wird gebeten. Ansprechpartner: BÖLW-Pressestelle, Joyce Moewius, Tel. +49 30 28482-307, presse[at]boelw.de
Der BÖLW ist der Spitzenverband deutscher Erzeuger, Verarbeiter und Händler von Bio-Lebensmitteln und vertritt als Dachverband die Interessen der Ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland. Mit Bio-Lebensmitteln und -Getränken werden jährlich von fast 50.000 Bio-Betrieben etwa 12 Mrd. Euro umgesetzt. Die BÖLW-Mitglieder sind: Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller, Biokreis, Bioland, Biopark, Bundesverband Naturkost Naturwaren, Demeter, Ecoland, ECOVIN, GÄA, Interessensgemeinschaft der Biomärkte, Naturland, Arbeitsgemeinschaft der Ökologisch engagierten Lebensmittelhändler und Drogisten, Reformhaus®eG und Verbund Ökohöfe.