Berlin, 09.02.2017. Der BÖLW fordert, dass bei Pflanzen, die durch Techniken entstanden sind, die auf molekularer Ebene in das Genom eingreifen, folgendes sichergestellt sein muss:
- Eine gründliche Risikobewertung möglicher Folgen für Gesundheit und Umwelt, bevor diese Organismen in die Umwelt freigesetzt werden oder in die Lebensmittelkette gelangen können;
- Die Rückverfolgbarkeit und im Falle neuer kritischer wissenschaftlicher Erkenntnisse auch die Rückholbarkeit der Produkte;
- Die Wahlfreiheit von Landwirten, Handels- und Verarbeitungsunternehmen und Verbrauchern, diese Produkte vermeiden bzw. aus Ihrer Produktion ausschließen zu können.
Hintergrund
Seit über 25 Jahren wird die landwirtschaftliche Gentechnik in der EU durch die so genannte Freisetzungsrichtlinie (ursprünglich Richtlinie 90/220/EWG, später Richtlinie 2001/18/EG) reguliert. Seit der letzten grundlegenden Überarbeitung vor 14 Jahren sind in den Laboren von Universitäten und Züchtungsunternehmen zahlreiche neue Techniken entwickelt worden, die den Züchtungsprozess beschleunigen sollen. Wie bei den bereits seit den 1990er Jahren bekannten Verfahren der „Transgentechnik“ werden auch bei diesen neuen Techniken kurze Abschnitte synthetischer DNA (Oligonukleotide), DNA-Scheren (Nukleasen) und weitere chemische oder technische Eingriffe verwendet, um direkt das Erbgut von Pflanzen und Tieren zu verändern. Züchtungsunternehmen investieren seit einigen Jahren in diese Techniken und haben damit bereits erste Nutzpflanzensorten entwickelt, die sie jetzt auf den Markt bringen wollen. Diese Unternehmen fordern, dass ihre neuen Produkte nicht durch die strenge Gentechnikgesetzgebung reguliert wird, die u. a. eine Sicherheitsprüfung vor der Marktzulassung und eine durchgängige Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung vorschreibt. Zudem streben einige Unternehmen die Patentierung entsprechender Techniken oder deren Produkte und damit eine verstärkte Kontrolle über die Verwendung der damit gezüchteten Pflanzen, die züchterische Weiterentwicklung und entsprechende Lizenzeinnahmen an.
Die EU Kommission hatte 2014 zunächst angekündigt, eine Bewertung zumindest einiger der neuen Techniken vorzunehmen hinsichtlich der Frage, ob sie in den Geltungsbereich der EU-Gentechnikgesetzgebung fallen oder aber ob die durch diese Techniken entstandenen Pflanzen in Zukunft ohne Risikobewertung und Auflagen angebaut und verwendet werden können. Diese Bewertung („legal notice“) wurde jedoch bis heute nicht abgeschlossen, stattdessen hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) aufgrund einer entsprechenden Anfrage des französischen Conseil d’Etat dieser Frage angenommen, ein Beschluss des EuGH wird im Jahr 2018 erwartet.
Forderungen
Der BÖLW fordert, das Vorsorgeprinzip bei den neuen Technologien sowie Verfahren, in denen Transgentechnik zum Einsatz kommt, konsequent anzuwenden. Die Techniken unterscheiden sich deutlich von „konventioneller“ Züchtung und die Risiken der Freisetzung der damit erzeugten Pflanzen sind nicht absehbar. Die EU-Gentechnikgesetzgebung ist der Rechtsbereich, in dessen Geltungsbereich diese Techniken nach Rechtslogik fallen, diese Einschätzung wurde auch durch mehrere Rechtsgutachten belegt. Die neuen Züchtungstechniken bzw. die neuen Anwendungsgebiete der Gentechnik in der Freisetzungsrichtlinie sind zwar nicht explizit benannt, weil sie 2001 noch nicht bekannt waren. Heute muss es daher darum gehen, im Sinne der Gesetzgeber die ursprüngliche Zielsetzung des Rechtstextes umzusetzen. Diese besteht darin, Risiken für Umwelt und Gesundheit durch die Verwendung von Techniken, die in das Erbgut von Pflanzen eingreifen, zu vermeiden. Die nationale und europäische Politik darf sich nicht um die konsequente Umsetzung der Richtlinie herummogeln.
Zudem fordern Landwirte, Hersteller, Handel und Verbraucher weiterhin die Wahlfreiheit, gentechnikfrei zu produzieren und sich gentechnikfrei zu ernähren. Dieses Recht wurde mit der Gentechnik-Kennzeichnungsverordnung EG/1829/2003 umgesetzt: Lebens- und Futtermittel, die „aus“ einem GVO (…) hergestellt sind, müssen gekennzeichnet werden. Entscheidend ist dabei, ob das Lebensmittel oder Futtermittel einen aus dem genetisch veränderten Ausgangsmaterial hergestellten Stoff enthält1 (d.h., es ist ein prozessbasierter Ansatz). Dieses Recht auf Wahlfreiheit muss auch für die neuen gentechnischen Verfahren gelten, was durch eine klare Einordnung in den Geltungsbereich der Richtlinie EG/2001/18 sichergestellt wäre.
Im Einzelnen
„Altes“ in neuem Gewand: Einige der neu aufgekommenen Verfahren sind „klassische Gentechnikverfahren“. Hier wird eine Transformation des Genoms durch Partikelbeschuss oder Agrobakterium tumefaciens erreicht. Es wird jedoch mit unterschiedlichen Argumenten (z.B. keine Überschreitung von Artgrenzen, kein verändertes Genom im Endprodukt nachweisbar) versucht, die Zulassungspflicht als GVO zu umgehen. Verfahren wie Cisgenetik, Intragenetik, Floral Dip sind jedoch gentechnische Verfahren und müssen dementsprechend behandelt werden. Auch die Verwendung gentechnisch veränderter Reiser oder das Pfropfen von Obst auf gentechnisch veränderte (Baum-) Unterlagen muss unter den Geltungsbereich der GVO-Richtlinie fallen, da in diesem Falle GVO freigesetzt werden und es zudem Hinweise darauf gibt, dass genetisches Material von der Unterlage in die Reiser gelangen und dort Veränderungen im Phänotyp hervorrufen.
„Altes“ im Prozess: „Klassische“ Gentechnik wird im Prozess verwendet, aber ist mit heutigen Verfahren nicht im Endprodukt nachweisbar, da die DNA des gentechnisch veränderten Elternteils angeblich im Endprodukt „ausgekreuzt“ wurde. Hierunter fallen beispielsweise Reverse Breeding, Agro-Infiltration (außer Floral Dip) und die sogenannte beschleunigte Züchtung. Aufgrund heute noch vieler offener Fragen zu den Risiken sowie dem prozessbasierten Ansatz in der Gentechnikgesetzgebung müssen durch diese Techniken hergestellte Organismen ebenfalls unter die Gentechnikgesetzgebung fallen.
„Neues“ nach alten Prinzipien: Neuartige Verfahren, die auf molekularer Ebene direkt in die DNA und/oder Genregulation eingreifen, aber zur Zeit der Verfassung der Richtlinie (2001) noch keine Rolle spielten und deshalb in der Richtlinie nicht explizit beschrieben werden. Dies sind beispielsweise Zinkfinger Nukleasen (ZFN 1-3), TALEN-Technik, Meganukleasen, Oligonukleotid-gerichtete Mutagenese (ODM), CRISPR-Cas, RdDM, RNAi. Bei diesen Techniken wird die Komplexität und der schnelle Wandel in der Wissenschaft [1] deutlich, andererseits zeigt sich eine klare Kontinuität von der Entwicklung der ersten gentechnischen Verfahren zu den neueren Techniken: Es wird auf molekularer Ebene mit immer weiterer Eingriffstiefe (Gene > Nukleinsäuren > Methylgruppen einzelner Nukleinsäuren) in die Zelle eingegriffen. Die Folgen für die gesamte Biologie der Pflanze sind nicht hinreichend geklärt. Zudem erfolgen dadurch soziale, ökonomische, agronomische und ökologische Verschiebungen in Züchtung, Anbau und Verwendung, die kaum übersehbar sind.
Wahlfreiheit statt Verbrauchertäuschung
Wahlfreiheit zu gewährleisten für Verbraucher bei der Auswahl ihrer Lebensmittel, aber auch für Züchter und Bauern bei der Auswahl von genetischem Ausgangsmaterial, Saatgut oder Futtermitteln und im Anschluss für Hersteller und Händler bei der Auswahl von Rohwaren und Produkten waren und sind neben der Vorsorge für Gesundheit und Umwelt die Basis der EU Gentechnik-Gesetzgebung. Diese Wahlfreiheit muss auch bei allen in diesem Papier benannten Techniken sichergestellt werden. Züchter und Landwirte brauchen beim Saatgutkauf Gewissheit, wie die Sorten, die sie verwenden oder weiterentwickeln, gezüchtet wurden. Nur dann können sie ihren Kunden glaubwürdig und ohne unplanbare rechtliche Risiken die Herkunft ihrer Ware erklären.
Sicherstellen der Rückverfolgbarkeit
Für einige der neuen Techniken gibt es bisher keine etablierten Verfahren, die im Endprodukt die Anwendung der Technik nachweisen könnten. Wenn dieses Problem nicht über eine akribische Prozess-Dokumentation gelöst werden kann (wie bei der Kennzeichnung nach EG/1829/2003 üblich, z.B. bei Soja-Öl aus GVO-Sojabohnen), sollte die Technologie nicht zugelassen werden. So lange die Rückverfolgbarkeit nicht sicher-gestellt ist, erfüllt ein Produkt aus einem technischen genomverändernden Verfahren nicht die Ansprüche der Richtlinie 2001/18/EG.
Biologische Landwirtschaft und Agro-Biodiversität vor Kontamination schützen
Die biologische Landwirtschaft engagiert sich in der Entwicklung und Erhaltung von Nutzpflanzenpopulationen, die an verschiedenste Standorte sowie an die Bedingungen der biologischen Landwirtschaft angepasst sind. Damit leistet sie einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der agrarbiologischen Vielfalt, während die konventionelle Züchtung zunehmend auf eine sehr homogene Genetik setzt. Auch Verwendung, Bekömmlichkeit und Schmackhaftigkeit spielen bei der Bio-Züchtung eine wesentliche Rolle. Aus Gründen der gesundheitlichen und ökologischen Vorsorge sowie aus ethischen Gründen lehnen ZüchterInnen von „Bio“-Pflanzen sowie die gesamte Bio-Branche die Gentechnik ab. Sollten nun zahlreiche mit neuen Verfahren gentechnisch veränderte Pflanzen in der konventionellen Landwirtschaft angebaut werden, die weder der Kennzeichnungspflicht unterliegen noch im Standortregister vermerkt sind, könnten Einkreuzungen kaum noch vermieden werden. Dies wäre ein Rückschlag für die gerade erfolgreich wachsende biologische Pflanzenzüchtung und würde die Erhaltung und ökologische Weiterentwicklung unserer Nutzpflanzenvielfalt und damit auch unseres Lebensmittelangebots aufs Spiel setzen.
[1] Verordnung EG/1829/2003; Erwägungsgrund 16
Literatur
Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates (konsolidierte Fassung) http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:02001L0018-20150402&from=EN
Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2003:268:0001:0023:DE:PDF
Richtlinie 90/220/EWG des Rates vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (aufgehoben) http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31990L0220:DE:HTML
„Alte Gentechnik, neue Gentechnik?“, Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit: http://www.keine-gentechnik.de/fileadmin/files/Infodienst/Dokumente/IG_Positionspapier_neue_Techniken_08.03.2015.pdf
Rechtsgutachten Prof. Dr. Tade Spranger im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz: „Legal Analysis of the applicability of Directive 2001/18/EC on genome editing technologies“ (https://bfn.de/fileadmin/BfN/agrogentechnik/Dokumente/Legal_analysis_of_genome_editing_technologies.pdf)