Berlin, 12.09.2019. Am 1. Januar 2021 tritt ein neues Bio-Recht in Kraft. Mit der neuen Verordnung (EU) Nr. 2018/848 werden unter anderem die Vorgaben zum Umgang mit Kontaminationen konkretisiert. In dieser BÖLW-Information stellen wir – mit dem Fokus auf die Landwirtschaft – dar, wie man die neuen Regeln verstehen kann.
Bio bleibt prozessorientiert
Die neue Öko-Verordnung bleibt einem wichtigen Bio-Grundsatz treu: Bio ist ein Prozess-Standard. Entscheidend für den Bio-Status sind nicht die messbaren Eigenschaften des Produkts. Vielmehr sind an entlang der gesamten Produktionskette entlang Regeln definiert, die von den Bio-Betrieben und -Unternehmern eingehalten werden müssen. Auch wie kontrolliert und gekennzeichnet wird, ist vorgeschrieben – vom Acker bis zur Ladentheke.
Keine öko-spezifischen Grenzwerte
Auch in der künftigen Bio-Verordnung gibt es keine öko-spezifischen Grenzwerte, die beim Vorhandensein von nicht zugelassenen Stoffen automatisch zur Aberkennung des Bio-Status‘ führen. Einige Mitgliedstaaten, die aktuell Sondergrenzwerte für Bio-Produkte anwenden, dürfen diese vorerst behalten.
Die Regeln zu Kontaminationen kommen im Jahr 2024 erneut auf den Prüfstand. Dann soll auf europäischer Ebene untersucht werden, ob nicht ein einheitliches Vorgehen bei Kontaminationen gefunden werden kann.
Umgang mit Verstößen
Ein Verstoß ist alles, was die Regeln der EU-Öko-Verordnung missachtet – vom einfachen Formfehler bis zu Betrug. Beispielsweise zu wenig Platz im Stall für Bio-Tiere oder der unerlaubte Einsatz von konventionellen Futtermitteln oder chemisch-synthetischen Pestiziden. Die neue Öko-Verordnung definiert, wie mit all diesen Verstößen umgegangen wird. Das Auftreten von Kontaminationen kann ein Hinweis auf einen Verstoß sein.
Kontaminationen: Nicht zugelassene Stoffe oder Erzeugnisse im Fokus
Das System des Bio-Rechts sieht seit jeher vor, dass Stoffe aus bestimmten Stoffgruppen einer Zulassungspflicht unterliegen. Diese Stoffe dürfen in der Bio-Produktion nur eingesetzt werden, wenn sie zuvor dafür zugelassen wurden. Wenn einzelne Stoffe aus diesen Gruppen keine Zulassung haben, sind sie im Sinne der Öko-Verordnung nicht zugelassene Stoffe. Ein Beispiel sind chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, die – anders als einige Pflanzenbehandlungsmittel biologischen oder mineralischen Ursprungs – natürlich nicht zugelassen und deshalb laut Öko-Verordnung verboten sind.
Diese Zulassungspflicht gilt nach alter und neuer Öko-Verordnung für
- Dünger,
- Pflanzenschutzmittel,
- Mineralische Futtermittel und Futtermittelzusatzstoffe,
- Reinigungs- und Desinfektionsmittel,
- Lebensmittelzusatz- und -hilfsstoffe
- sowie für konventionelle Lebensmittelzutaten.
Nur bestimmte, den Öko-Prinzipien entsprechende Stoffe aus diesen unterschiedlichen Gruppen sind zugelassen und dürfen in der Bio-Produktion verwendet werden. Bio-Bauern und -Unternehmerinnen sind dazu verpflichtet, Kontaminationen mit gemäß der Öko-Verordnung nicht zugelassenen Stoffen zu vermeiden.
Andere Stoffe unterliegen keiner Zulassungspflicht gemäß Bio-Recht. Hierzu zählen Umweltkontaminanten wie Schwermetalle oder Dioxin sowie etwa Treibstoffe für Maschinen oder Stoffe aus Verpackungen. Geregelt wird der Umgang mit dem Vorkommen dieser Stoffe über allgemeine Vorgaben des Landwirtschafts-, Lebensmittel- oder Umweltrechts. Aus der Öko-Verordnung ergeben sich keine besonderen Pflichten.
Vorsorgemaßnahmen gegen Kontaminationen: angemessen und verhältnismäßig
Was für Öko-Verarbeiterinnen und -Verarbeiter bereits seit langem gilt, wird mit dem neuen Bio-Recht auch ausdrücklich für Bio-Bauern und alle anderen Bio-Unternehmerinnen gelten: Alle Betriebe müssen systematische Vorsorgemaßnahmen nachweisen, um ihre Produktion vor nicht zugelassenen Stoffen und Erzeugnissen zu schützen. Diese Vorschrift zielt in der Landwirtschaft insbesondere auf Betriebe, die nur teilumgestellt sind und deshalb ökologische und konventionelle Produkte parallel produzieren. Solche Höfe sind – im Gegensatz zu Deutschland – in etlichen anderen EU-Ländern üblich. Auf teilumgestellten Höfen gibt es besonders viele Schnittstellen zur konventionellen Produktion und damit höhere Kontaminationsrisiken als bei ausschließlich ökologisch wirtschaftenden Betrieben. Aber auch für Bio-Betriebe mit gemeinsam genutzten Maschinen, Transportmitteln oder Lagerstätten bestehen Eintragsrisiken für Kontaminationen.
Jeder Bio-Betrieb muss seine besonders risikobehafteten Punkte im Betrieb kennen und dort Maßnahmen zur Vermeidung von Kontaminationen treffen. Die konkretisierten Regeln der neuen Öko-Verordnung sehen deshalb vor, dass
- besonders kritische Punkte, an denen Kontaminationsrisiken bestehen, identifiziert und überwacht werden;
- dass an diesen Punkten Vorsorgemaßnahmen gegen Kontaminationsrisiken festgelegt
- und diese Maßnahmen regelmäßig überprüft und aktualisiert werden.
Die Vorsorgemaßnahmen müssen dabei immer angemessen und verhältnismäßig sein und im eigenen Verantwortungsbereich des jeweiligen Bio-Unternehmers liegen. Somit sind den Vorsorgepflichten Grenzen gesetzt. Spezielle Abstandsflächen zu konventionellen Nachbarinnen zu Lasten von Bio-Bauern und -Bäuerinnen wären das nicht – da eine solche Maßnahme nicht verhältnismäßig ist. Ebenso wenig sind Bio-Betriebe verpflichtet, in die Bewirtschaftung ihrer Nachbarn einzugreifen. Denn das liegt nicht im Verantwortungsbereich des Öko-Betriebs. Ein konventionell wirtschaftender Landwirt ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er beispielsweise keine Schäden durch Abdrift von Pflanzenschutzmitteln verursacht.
Die Bio-Bäuerin kann auch nicht dazu verpflichtet werden, ihre Nachbarn darüber aufzuklären, wie Abdrift verhindert werden kann – auch wenn dies im Einzelfall sinnvoll sein kann.
Bio-Unternehmen sind ebenfalls nicht verpflichtet, die Vorsorgemaßnahmen ihrer Lieferantinnen zu überprüfen – denn die Vorsorge beschränkt sich immer auf den jeweils eigenen Betrieb.
Vorsorgemaßnahmen von der Öko-Kontrolle geprüft
Die Vorsorgemaßnahmen müssen kontrolliert werden. Deshalb müssen sie nun auch von landwirtschaftlichen Betrieben, wie oben beschrieben, systematisch eingeführt und dokumentiert werden. Mit dem Öko-Zertifikat erhalten alle Bio-Betriebe und -Unternehmen künftig die Bestätigung, dass ihre Vorsorgemaßnahmen angemessen sind und auch gut umgesetzt werden – und können sich deshalb auch bei ihren Lieferanten darauf verlassen.
Es besteht die Möglichkeit, dass die EU-Kommission selbst konkretere Anforderungen an Vorsorgemaßnahmen für Erzeuger, Verarbeiter und Händler definiert [1]. Darüber hinaus werden die Regeln zu Vorsorgemaßnahmen gegen Kontaminationen – wie alle EU-Vorgaben des Bio-Rechts – von den zuständigen Behörden der Bundesländer, den Kontrollstellen und den Betrieben ausgelegt werden müssen. Hierbei muss es darum gehen, eine gute Balance zu finden zwischen der Verantwortung des Bio-Betriebs, der Machbarkeit der Maßnahmen und deren Nachweis.
Was beim Auftreten einer Kontamination passiert
Findet man durch eine Laboranalyse laut Öko-Verordnung nicht zugelassene Stoffe in einem Bio-Produkt, kann das auf einen Verstoß hindeuten, muss aber nicht. Nur wenn ein Kontaminationsbefund auf einen Verstoß gegen die Bio-Prozessregeln hinweist, kann der Bio-Status der Produkte oder der Erzeugung in Frage gestellt sein und der Fall muss weiter untersucht werden.
Grundsätzlich gilt: Bei jedem Verdacht auf einen Verstoß, egal ob ein Tier zu wenig Auslauf hatte oder eine Laboranalyse auf unerlaubte Stoffe im Bio-Produkt hinweist, hat der Bio-Betrieb das Recht und die Pflicht zur ersten Prüfung und Bewertung des Verdachtsfalls. Der Betrieb muss zuerst die betroffene Ware identifizieren und sperren. Und klären, ob der Befund belastbar ist und tatsächlich auf einen Verstoß gegen die EU-Öko-Verordnung hindeutet. Sollte die Prüfung aber beispielsweise ergeben, dass der Verdacht – bspw. auf mangelnden Auslauf – sich nicht bestätigt oder dass die Gründe für einen bestimmten Laborbefund nicht in einem Verstoß gegen die Öko-Verordnung liegen, so muss er seine Prüfung lediglich dokumentieren und kann die Ware wieder freigeben.
Im Falle eines Verdachts, der durch einen Kontaminationsbefund ausgelöst wurde, muss geprüft werden, ob die folgenden drei Anforderungen erfüllt sind, um einen Verstoß auszuschließen:
- Der Bio-Betrieb darf selbst keine laut Öko-Verordnung nicht zugelassenen Stoffe einsetzen.
- Der Betrieb muss angemessene Vorsorgemaßnahmen gegen Kontaminationen eingerichtet haben.
- Wenn zu einem früheren Zeitpunkt Maßnahmen durch Behörden angeordnet wurden, muss der Bio-Betrieb diese umgesetzt haben.
Hat der Betrieb gegen keine der drei Anforderungen verstoßen, muss die Ware freigegeben werden und die Kontamination gilt als unvermeidlich und nicht vom Bio-Bauern verschuldet. Falls sich der Verdacht auf einen Verstoß gegen die Öko-Verordnung bei der ersten Prüfung durch die Bio-Unternehmerin jedoch erhärtet oder nicht eindeutig klären lässt, bleibt die Ware gesperrt und der Fall muss sofort an die Öko-Kontrollstelle oder Behörde gemeldet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Verdacht sich auf Ware aus der eigenen Produktion oder auf zugekaufte Waren bezieht. Kontrollstellen oder Behörden müssen dann überprüfen, ob entlang der Produktionskette tatsächlich gegen die Bio-Regeln (durch Anwendung nicht zugelassener Stoffe oder Erzeugnisse oder fehlende Vorsorgemaßnahmen) verstoßen wurde oder nicht.
Es muss also weiterhin in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Erzeuger oder Verarbeiterinnen gegen die Bio-Vorschriften verstoßen haben. Ein Laborbefund allein liefert hierfür noch keinen Beleg.
Spurenbefund: wann die Behörden eingeschaltet werden müssen
Nicht jeder Spurenfund führt sofort zu einer amtlichen Untersuchung. Bio-Betriebe sind verpflichtet, die bei ihnen festgestellten Kontaminationen zunächst selbstständig zu prüfen und nur begründete oder nicht aufklärbare Verdachtsfälle gegen die Öko-Verordnung zu melden. Die Behörde muss die Verdachtsfälle unverzüglich untersuchen. Die Ware bleibt gesperrt, solange die Untersuchung andauert.
Auch die Kontrollstellen und Behörden sind bei eigenen Positivproben verpflichtet, unverzüglich zu prüfen, ob der Befund überhaupt den Verdacht auf einen Verstoß gegen die Verordnung nahelegt. Auch in diesem Fall wird die Ware für die Dauer der Untersuchung gesperrt.
Neu ist die Auflage, dass jede amtliche Untersuchung in einem angemessenen Verhältnis zur Art des Verdachtes stehen und so rasch wie möglich durchgeführt werden muss. Mit Blick auf die Haltbarkeit des Produktes und das Festliegen von Bio-Waren soll die amtliche Untersuchung beschleunigt werden, so dass schnell Klarheit darüber herrscht, ob die Ware biokonform ist und weiter verwendet bzw. vermarktet werden kann oder nicht. Bei der Untersuchung können Kontrollstellen und Behörden alle sachdienlichen Methoden einsetzen und Informationen heranziehen. Je nach Fall kann die Prüfung auch vom Schreibtisch aus erfolgen.
Politik und Behörden: Verursacher in die Pflicht nehmen, Bio-Betriebe schützen
Bio-Betriebe sind nicht die Verursacher von Kontaminationen durch Abdrift und Umweltkontaminanten oder andere Verschmutzungen, sondern die Leidtragenden. Da Bio-Bauern und -Bäuerinnen diese umstrittenen Mittel nicht einsetzen, dürfen sie auch nicht mit unerfüllbaren oder kostspieligen Auflagen überzogen werden.
Wer zu Recht will, dass sich weniger chemisch-synthetische Pestizide oder andere schädliche Stoffe in der Umwelt finden, muss dafür Sorge tragen, dass diese Stoffe gar nicht erst zugelassen und eingesetzt werden. Bzw. muss dafür gesorgt werden, dass ihr Einsatz so erfolgt, dass Abdrift vermieden wird. Deshalb müssen bei der Zulassung von Pestiziden und anderen gefährlichen Chemikalien die Abdrift auf ökologische Flächen und ihre Auswirkungen für die ökologische Produktion stets untersucht und bewertet werden. Nachweislich leicht abdriftende Stoffe müssen in der Landwirtschaft verboten werden, schließlich arbeiten konventionelle und ökologische Betriebe in Nachbarschaft zueinander und in der freien Natur. Immer wieder beweisen Studien – zuletzt diejenigen vom Umweltinstitut München oder dem Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft [2] – dass Pestizide kilometerweit fortgetragen werden und bereits heute überall in der Umwelt vorhanden sind, auch fernab ihrer ursprünglichen Ausbringungsorte.
Die Regeln der sogenannten ‚Guten fachlichen Praxis Pflanzenschutz‘ sollen Abdrift vermeiden. Sie müssen dringend weiterentwickelt und konsequenter angewendet sowie kontrolliert werden.
Die Bundesregierung ist schon seit etlichen Jahren in der Pflicht, zügig eine Reform der ‚Guten fachlichen Praxis‘ auf den Weg zu bringen, um Kulturen und Produkte mit besonderen Anforderungen, wie den Kräuteranbau, Babynahrung oder die Bio-Produktion angemessen zu schützen und deren Koexistenz zu ermöglichen. Diese Maßnahmen sind wichtig, um künftig die Existenz von Bio-Betrieben zu sichern.
[1] Sie ist gemäß der Öko-Basis-Verordnung dazu ermächtigt, muss von diesem Recht aber keinen Gebrauch machen.
[2] http://www.umweltinstitut.org/aktuelle-meldungen/meldungen/2019/pestizide/vom-winde-verweht-luftmessungen-im-vinschgau.html ; http://enkeltauglich.bio/aktuelle-studie , abgerufen am 7.8.2019