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Vom Protest zum Umbau: Wie gelingt die Zeitenwende?

Top 10-Themenpapier zum Pressegespräch mit O-Tönen
  1. Gemeinsame EU-Agrarpolitik
  2. Europäisches Bio-Recht
  3. Klima
  4. Artenvielfalt
  5. Tierwohllabel und Steuern auf Fleisch
  6. Nutri-Score
  7. (Neue) Gentechnik
  8. Düngerecht
  9. Ackerbaustrategie
  10. Bildung und Forschung

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1. Gemeinsame EU-Agrarpolitik

Mit jährlich 60 Mrd. € bestimmt die EU-Agrarpolitik (GAP), welche Landwirtschaft sich in Europa lohnt. Die Agrarförderung macht mit fast 40 % den größten Einzelposten im EU-Haushalt aus. Über die EU-Agrarpolitik wird die Landwirtschaft in Deutschland mit jährlich 6,2 Mrd. Euro gefördert. Davon fließen etwa 5 Mrd. € in die Direktzahlungen, circa 1,3 Mrd. € stehen für Agrarumweltprogramme und ländliche Entwicklung zur Verfügung.

Aktuell durchkreuzt die Europäische Union mit der GAP auf Kosten der Steuerzahler ihre eigenen Ziele, zu denen sich die Staatengemeinschaft mit Blick auf das Klima, die Umwelt, Artenvielfalt oder lebendige Dörfer verpflichtet haben.

Das Ergebnis der verfehlten Agrarpolitik ist fatal: Bauernhöfe müssen schließen, Insektenvielfalt schrumpft, an vielen Brunnen überschreitet Nitrat die Grenzwerte. Ein Kurswechsel drängt, das sagen auch die wissenschaftlichen Berater des Bundeslandwirtschaftsministeriums und der EU-Rechnungshof.

Ziel der aktuellen Reform der EU-Agrarpolitik muss für Deutschland sein, die GAP stufenweise und für die Betriebe kalkulierbar so umzubauen, dass immer stärker in Gemeinwohlleistungen wie Klima- oder Artenschutz investiert und nicht einfach Flächenbesitz belohnt wird. Wichtig ist, dass die Agrarzahlungen neu ausgerichtet, aber als Gesamtbudget nicht abgeschmolzen werden. Nur so kann der notwendige Umbau gemeinsam mit den Betrieben gestaltet werden.

Dr. Alexander Gerber, BÖLW-Vorstand für Landwirtschaft, kommentiert:

„Die GAP bestimmt mit vielen Milliarden, welche Landwirtschaft sind lohnt für die Bauern von Helsinki bis Madrid. Versagt die EU bei der GAP, kann der drängende Umbau hin zu enkeltauglicher Landwirtschaft und Ernährung kaum gelingen. Auch das Vertrauen der Bauern und Bürger in die Politik schrumpft. Julia Klöckner muss sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die Europäische Agrarpolitik so gestaltet wird, dass mit Steuergeld nicht länger Flächenbesitz auf Kosten von Bauern, Steuerzahlern und Umwelt belohnt wird. Landwirte müssen für Leistungen entlohnt werden, die der Markt nicht bezahlt. Statt 70 % Pauschalzahlungen nach Fläche brauchen wir 70 % der gesamten EU-Fördermittel für die Honorierung von freiwilligen Leistungen für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz.“

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/eu-agrarpolitik/.

2. Europäisches Bio-Recht

Die EU-Öko-Verordnung ist das Bio-Grundgesetz und regelt seit 1991, wie Bio-Lebensmittel produziert, kontrolliert nach Europa importiert und gekennzeichnet werden. Ab 2021 tritt ein neues Bio-Recht in Kraft. Bis Ende 2020 muss die Öko-Basisverordnung noch durch entscheidende Regeln ergänzt werden, zum Beispiel mit konkreten Vorgaben zu Ställen und Ausläufen für Bio-Tiere, mit Listen zugelassener Bio-Betriebsmittel oder -Lebensmittelzutaten sowie präziseren Anforderungen an die Öko-Kontrolle und Bio-Importe aus Drittländern. Rechtsentwürfe, die aktuell auf dem Verhandlungstisch liegen, gefährden die Bio-Tierhaltung und -Verarbeitung sowie das 20 % Bio-Ziel der Bundesregierung – verbessert werden müssen dringend insbesondere die Regeln für die Schweine-, Geflügel- und Rinderhalter sowie die Vorgaben zu Reinigung und Desinfektion in der Bio-Verarbeitung.

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, BÖLW-Vorsitzender, kommentiert:

„Julia Klöckner muss in Brüssel jetzt die Bio-Bremse verhindern. Denn dort liegen Gesetzentwürfe auf dem Tisch, die Bio-Tieren und -Bauern und -Verarbeitern schaden und Öko ausbremsen können.

Besonders bei der Öko-Tierhaltung geht es um viel. Bio-Bauern geben ihren Tieren Auslauf. Und bieten etwa ihrem Geflügel sogenannte Mehrklimazonenställe mit einer Veranda an. Diese innovativen Ställe und auch die auslaufbetonte Haltung von Schweinen und Rindern sind in Gefahr. Gelingt es Ministerin Klöckner nicht, die bewährten Bio-Tierhaltungsregeln im neuen Bio-Recht zu sichern, müssten Öko-Bauern ihre Schweine-, Geflügel- und Rinderbestände abbauen. Das gefährdet ihre Existenz. Denn die Bio-Tierhalter haben ja bereits viel Geld in ihre Ställe investiert und sie so gebaut, dass sie artgerecht sind und den behördlichen Auflagen gemäß der aktuellen Öko-Verordnung entsprechen. So würde ausgerechnet diejenige Tierhaltung beeinträchtigt, die am besten für Tiere, Gewässer und Böden oder Klima ist.

Für die Bio-Lebensmittelhersteller ist wichtig, dass für die Betriebe weiter die notwendigen Reinigungs- und Desinfektionsmittel verfügbar sind, um die strengen Hygienevorgaben einhalten und damit die Sicherheit ihrer Produkte gewährleisten zu können.

Die Bundesregierung hat sich das Ziel 20 % Öko bis 2030 gesetzt. Grundlage dafür ist eine praxistaugliche und verbesserte EU-Öko-Verordnung. Deutschland muss dafür sorgen, dass es gute Bio-Regeln in der EU gibt, nur so kann die Bundesregierung ihre Bio-Ziele erreichen. Und damit die gesamte Landwirtschaft voranbringen.“

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/eu-oeko-verordnung/neues-biorecht/.

3. Klima

Landwirtschaft und Ernährung verursachen etwa ein Drittel der menschgemachten Treibhausgase weltweit. Auch in Deutschland stammt der Großteil der besonders klimaschädlichen Methan- und Lachgasemissionen aus dem Stall und vom Acker. Damit Deutschland seine Klimaziele erreicht, muss die Landwirtschaft ihre Emissionen bis 2030 um über 20 % gegenüber 2017 senken. Die Bundesregierung stellte im September 2019 vor, wie sie den Klimaschutzplan 2050 verbindlich umsetzen will – auch in der Landwirtschaft.

Eine detaillierte Bewertung des BÖLW der zehn land- und forstwirtschaftlichen Klimaschutz-Maßnahmen der Bundesregierung für die Umsetzung des Klimaschutzplanes lesen Sie auf https://www.boelw.de/news/richtige-themen-halbherzige-umsetzung/.  

Wie der Klimaschutz mit Humusaufbau gelingt, lesen Sie im Vorschlag für ein Humus-Aktionsprogramm auf https://www.boelw.de/news/humus-aufbauen-klima-schuetzen/.

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, BÖLW-Vorsitzender, kommentiert:

„Klimaschutz ist eine Frage der Generationengerechtigkeit. Wir brauchen eine enkeltaugliche Landwirtschafts- und Ernährungspolitik mit klaren Regeln, die klimaschädliches Verhalten verhindern und Klimaschützer belohnen.

Der 10-Punkte-Plan des Bundeslandwirtschaftsministeriums zum Klimaschutz wird den Herausforderungen nicht gerecht. Genannt sind die richtigen Themen, aber der Plan wird nur dann wirken, wenn die Maßnahmen auch konsequent angegangen werden. So kann man darin weder lesen, wie die zu hohen Viehdichten in den Zentren der industriellen Tierhaltung abgebaut werden sollen, noch wie Deutschland von den hohen Stickstoffüberschüssen runterkommen soll.

In Deutschland kommt es für klimafreundliche Landwirtschaft darauf an, in den Hotspots weniger Tiere zu halten. Denn schädliche Emissionen aus Gülleüberschüssen und künstlichem Stickstoffdünger überhitzen das Klima.

Es ist Klimaschutzpolitik, wenn Bauern dabei unterstützt werden, mit Humusaufbau überschüssigen Kohlenstoff im Boden festzulegen. Auch die Widerstandskraft gegenüber den Folgen veränderten Klimas wird so gestärkt. Hier setzt der Klimaschutzplan die richtigen Maßnahmen.

Bio schützt das Klima. Bei Bio kommen nur so viele Tiere auf die Fläche wie Klima, Boden und Wasser vertragen. Energieaufwändige Mineraldünger sind tabu. Das schützt Ressourcen, auch was die Klimaverträglichkeit der Futtererzeugung angeht.“

4. Artenvielfalt

Beim Welt-Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 hatten die Vereinten Nationen die internationale Konvention über die Biologische Vielfalt formuliert. Das ursprüngliche Ziel, den Verlust der Biodiversität bis 2010 weltweit zu stoppen, wurde klar verfehlt. Mit einer neuen UN-Biodiversitätsdekade sollte dieses Ziel eigentlich bis 2020 erreicht werden.

Welche dramatischen Auswirkungen Pestizide, Monokulturen und fehlende Rückzugsräume auf die Artenvielfalt haben, zeigten bereits die Ergebnisse des Artenschutz-Reports im Jahr 2015: Seit 1990 ging etwa der Bestand von Rebhühnern in der Agrarlandschaft um 90 % zurück; weitere prominente aber längst nicht alle Opfer der Intensivlandwirtschaft sind Bienen und Feldhamster.

2018 und 2019 belegten zahlreiche Studien die Zuspitzung der Artenkrise und welche negativen Wirkungen schädliche Praktiken der Landwirtschaft haben, insbesondere beim drastischen Rückgang von Insekten.

Die Bundesregierung hat 2019 ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ aufgelegt, das sich allerdings im Wesentlichen auf Maßnahmen außerhalb der eigentlichen landwirtschaftlichen Produktionsflächen wie z. B. Blühstreifen beschränkt.

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Öko-Flächen besonders artenreich sind. Wildkräuter, Insekten und Feldvögel profitieren von einer vielfältigen Fruchtfolge und der Bewirtschaftung ohne chemisch-synthetische Herbizide, Pestizide und synthetische Mineraldünger. Zusätzlich zur Förderung der Artenvielfalt auf den Nutzflächen schaffen viele Bio-Landwirte darüber hinaus Landschaftselemente wie etwa Hecken, vielfältige Wegraine, Feuchtbiotope oder Streuobstwiesen, die Pflanzen und Tieren als Rückzugsort dienen. Zuletzt belegte die bisher größte Metastudie, die vom Thünen-Institut der Bundesregierung veröffentlicht wurde, welchen Beitrag Bio zum Artenschutz leistet s. https://www.boelw.de/news/umfassende-studie-system-oekolandbau-ist-klarer-punktsieger-bei-umwelt-und-ressourcenschutz/.

Dr. Alexander Gerber, BÖLW-Vorstand für Landwirtschaft, kommentiert:

„Artenvielfalt ist das Immunsystem unseres Planeten. Vielfalt macht Anbausysteme widerstandsfähiger und ertragreicher.

Es ist gut, dass die Bundesregierung angesichts des dramatischen Insekten- und Artensterbens in Deutschland jetzt endlich ein Aktionsprogramm startet. Allerdings wirkt Insektenschutz nur dann, wenn flächendeckend insektenschonend gewirtschaftet wird – schließlich sind Insekten sehr mobil. Bisher liegt der Fokus aber zu sehr auf Blüh- und Randstreifen außerhalb der bewirtschafteten Flächen. Die Trennung zwischen Schutz- und Schmutzflächen verschärft das Problem aber eher, als dass es Biene oder Schmetterling hilft.

Auch wenn die Biodiversitätsleistung zwischen den individuellen Betrieben sehr unterschiedlich ist, bleibt es richtig, auf das System Ökolandbau zu setzen. Bio-Unternehmen tun mehr für Bienen, Braunkehlchen und Feldhase, denn Öko schützt die Artenvielfalt auf der gesamten Betriebsfläche. Statt Glyphosat oder Neonicotinoide einzusetzen, entstehen auf gesunden Öko-Äckern Rückzugsgebiete für Wildtiere. Eigene Bio-Initiativen zum Artenschutz beleben die Biodiversität. Es sind vor allem Bio-Höfe, die alte Kultursorten und Nutztierrassen erhalten.

Besonders wichtig ist, Biodiversitätsleistungen der Bauern über die EU-Agrarpolitik zu honorieren. Hier stehen Milliarden Euro zur Verfügung und bestimmen, welche Landwirtschaft sich lohnt.“

5. Tierwohllabel

Das freiwillige Tierwohllabel, das Bundesministerin Julia Klöckner anstrebt, ist unzureichend – darin sind sich weite Teile von Bauernorganisationen, Tierschutzverbänden, Wissenschaft und Handel einig. Nur wenn auf jeder Packung Fleisch oder Wurst verpflichtend gekennzeichnet ist, wie das Schwein oder Rind gehalten wurde, haben Verbraucherinnen und Verbraucher Klarheit. Und es entsteht mehr Nachfrage nach Fleisch aus artgerechter Tierhaltung, was den Bauern hilft umzustellen. Das zeigt die verpflichtende Eierkennzeichnung deutlich, die Vorbild für ein wirksames Label ist.

In Klöckners Label soll es zwar Regeln geben, nach denen die Tiere je nach Stufe mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard bekommen. Doch fast alles, was über diese Platzvorgaben hinausgeht, beschreibt keine Verbesserung, sondern ist vor allem lediglich die Konkretisierung der gesetzlichen Mindestanforderungen – zum Beispiel in den Bereichen Schlachtung oder Transport. Die Kriterien, die das ‚Tierwohllabel‘ von einem Haltungslabel unterschieden hätten, hat das Ministerium weitgehend gestrichen.

Im Wesentlichen soll den Tieren in der niedrigen Stufe 20 % mehr Platz gegeben werden. Geplant waren ursprünglich knapp 30 %. Eine Einteilung der Bucht in Bereiche für die Grundbedürfnisse der Tiere wie Ruhen, Koten oder Fressen ist bei der Enge nicht möglich. Bei dieser Haltungsform müssen die Schwänze der Ferkel auch weiterhin abgeschnitten werden, weil die Tiere sich nicht aus dem Weg gehen können – das Kupieren der Schwänze verstößt gegen EU-Recht.

Elke Röder, BÖLW-Vorstand für Handel, kommentiert:

„Fleisch und Wurst aus artgerechter Tierhaltung erkennen Kunden an den Zeichen der Verbände des ökologischen Landbaus und am Bio-Siegel.

Eine neue Kennzeichnung von Fleisch funktioniert dann, wenn sie verpflichtend ist und alle Produktionsstandards transparent macht. Was die Kundinnen und Kunden mit 0-1-2-3 beim Ei gelernt haben, muss jetzt auf ein Label für Fleisch übertragen werden.

Auf jeder Fleischpackung muss zu erkennen sein, wie das Tier gehalten wurde, vom Mindeststandard bis zu Bio.

Klöckners Label soll vom Staat mit Millionen vom Euro beworben werden. Die Einstiegsstufe verstößt gegen europäisches Recht. Denn trotz des Namens ‚Tierwohl gut‘ dürfen Schweinen die Schwänze abgeschnitten werden. Die Sauenhaltung bleibt völlig außen vor. Und bei der Schlachtung wird als Fortschritt verkauft, dass vor allem die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten werden müssen.

Das Prädikat Tierwohl, was vielen Kundinnen und Kunden und den Bauern wichtig ist, wird mit dem Tierwohllabel nicht gefördert sondern ausgehöhlt.“

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/tier/haltung/.

6. Nutri-Score

Nach einer Verbraucherbefragung hat Julia Klöckner 2019 beschlossen, den Nutri-Score als „Modell einer vereinfachten, erweiterten Nährwertkennzeichnung“ einzuführen. Nach über einem Jahrzehnt Diskussion können ab 2020 Lebensmittelhersteller freiwillig mit einem Farbsystem über den Energiegehalt und den Gehalt bestimmter Stoffe wie z. B. Zucker oder gesättigten Fettsäuren in Lebensmitteln auf Lebensmitteln Auskunft geben. Der BÖLW begrüßt die Entscheidung, gibt aber zu bedenken, dass der Nutri-Score ein Einzelinstrument ist und als solches nicht ausreicht, um eine gesündere Ernährung voranzubringen. Es besteht auch die Gefahr des Schönfärbens schlechter Produkte – etwa, wenn Zucker durch umstrittene Süßmacher ausgetauscht wird und das Produkt trotzdem eine sehr gute Bewertung bekommt.

Wichtig ist, dass eine umfassende Ernährungsstrategie auf den Weg gebracht wird, in der Ernährungsbildung einen Schwerpunkt hat. Mit einer deutlich besseren Gemeinschaftsverpflegung in öffentlichen Einrichtungen könnten Bund, Länder und Kommunen außerdem riesige Potenziale zur Verbesserung der Ernährungsmuster heben und gleichzeitig den ökologischen Umbau von Land- und Ernährungswirtschaft fördern.

Volker Krause, BÖLW-Vorstand für Verarbeitung, kommentiert:

„Der Nutri-Score ist ein kleiner Schritt zu einer besseren Information über das, was in Lebensmitteln drinsteckt. Das Einzelinstrument reicht aber längst nicht aus, um eine gesündere Ernährung voran zu bringen, zumal das System freiwillig ist und anfällig für Täuschungsmanöver.

Entscheidend ist, dass endlich eine umfassende Ernährungsstrategie auf den Weg gebracht wird. Hier steht die gesamte Bundesregierung in der Pflicht. Besonders der Ernährungsbildung muss eine starke Rolle zukommen – von der Kita an. Das ist nicht mit ein paar Stündchen im Sachkundeunterricht der Mittel- oder Oberstufe getan.

Wichtig ist auch, dass ein Kennzeichnungssystem wirklich gesunde Produkte zeigt. Das heißt für uns konkret: Die Gefahr des Schönfärbens schlechter Produkte – etwa, wenn Zucker durch umstrittene Süßmacher ausgetauscht würde oder wenig verarbeitete, ursprünglichere Produkte schlechter dastehen als hochverarbeite – muss ausgeschlossen werden. Es darf nicht sein, dass ein Vollkornmehl beim Nutri-Score genauso bewertet wird wie ein Weißmehl. Obwohl alle Ernährungsexperten sich einig sind, dass das Vollkornmehl eine gesunde Ernährung unterstützt und Weißmehl ein klassischer Dickmacher ist.

Der Maßstab für die Kennzeichnung und alle weiteren Maßnahmen einer Ernährungsstrategie muss sein, schnellstmöglich zu umfassend nachhaltigen Ernährungsstilen zu kommen. Wir können uns ethisch wie finanziell die massive Fehlernährung in Deutschland und ihre Folgen nicht mehr leisten.“

7. (Neue) Gentechnik

Die Anwendung von Gentechnik ist in der Ökologischen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion verboten. Der Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), dem höchsten Gericht der EU, stellte am 25. Juli 2018 klar, dass neuartige wie herkömmliche Gentechnik reguliert werden muss. Das Urteil bedeutet, dass Gentechnik wie CRIPSR-Cas und Co. gemäß der EU-Freisetzungsrichtlinie reguliert werden muss, was unter anderem Sicherheitsprüfung und Kennzeichnung einschließt. Mit der rechtlichen Einordnung schuf der EuGH Rechtssicherheit für alle in Landwirtschaft und Lebensmittelmarkt tätigen Unternehmen. Die europäischen Richter sorgten dafür, dass Bäuerinnen und Verbraucher weiter selbst darüber entscheiden können, was sie anbauen und essen. Trotz gegenteiligen Behauptungen: Nach erfolgter Zulassung können auch Produkte der neuen Gentechniken in Verkehr gebracht werden. Und es kann daran, unter Beachtung der EU-rechtlichen Bestimmungen, natürlich auch weiterhin geforscht werden. Züchtung ohne Gentechnik und damit ohne Risiken, Nebenwirkungen und Patente schafft schon seit fast 200 Jahren erfolgreich ertragreiche und angepasste Sorten. Besonders Öko-Züchter zeigen, wie innovativ und erfolgreich das Open Source System der Bio-Züchtung ist.

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, BÖLW-Vorsitzender, kommentiert:

„Crispr und Co. sind Gentechnik. Und Gentechnik muss mit dem Gentechnikrecht reguliert werden. Nur das schützt die legitimen Interessen der Bürgerinnen, der Umwelt und der Wirtschaft. Manipulierte Organismen ohne wirksame und unabhängige Prüfung als harmlos einzustufen ist unwissenschaftlich. Zumal mit den neuen Gentechniken noch viel tiefgreifendere Veränderungen drohen als mit den bisherigen Gentechnik-Verfahren.

Statt sich weiter in Gedankenspielen über Deregulierungen zu verlieren, sind Bundesregierung und EU-Kommission verpflichtet, das EuGH-Urteil aus 2018 endlich umsetzen. Sie müssen unter anderem dafür sorgen, dass Unternehmen und Überwachungsbehörden praktikable Nachweisverfahren zur Verfügung stehen.

Das Geschäftsmodell der neuen Gentechniken bleibt dasselbe wie bei der alten Generation: Patente auf Tiere und Pflanzen und Koppelprodukte zur Steigerung des Pestizidabsatzes. Patente blockieren Innovationen, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen in der Züchtung und der Land- und Ernährungswirtschaft.

Hunderttausende Arbeitsplätze in der deutschen und europäischen Lebensmittelwirtschaft, die sich mit gentechnikfreier Produktion eine starke Position im europäischen und globalen Lebensmittelmarkt erarbeitet hat, sind gefährdet, wenn neue Gentechniken nicht als diese reguliert werden.“

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/gentechnik/.

8. Düngerecht

Deutschland wurde im Juni 2018 vom Europäischen Gerichtshof zur wirksamen Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie innerhalb von 24 Monaten verurteilt, 27 Jahre nachdem das EU-Gesetz in Kraft trat und 25 Jahre nachdem es in wirksames nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen.

2019 haben sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf einen Kompromissvorschlag für eine Düngeverordnung geeinigt. Sie schlagen vor, dass in roten Gebieten, welche besonders belastet sind, 20 % weniger gedüngt werden muss als vorher, um den Überschuss an Stickstoff zu mindern.

Entscheidend ist die Gesamtstickstoffbilanz. Wer organisch düngt, also z. B. mit Gülle oder Mist, wird auf 160 kg N/ha begrenzt – egal ob Bio-Betrieb oder konventioneller Hof. Wer leicht löslichen Kunstdünger nutzt und evtl. zusätzlich organisch düngt, hat 140 kg N /ha. Der Regelvorschlag ist z. T. nachvollziehbar, sollte allerdings auf die Betriebe abzielen, welche für Nitratüberschüsse verantwortlich sind.

Entscheidend ist, dass mit einer wirksamen Kontrolle, die einen Abgleich vorhandener Daten zu Tierzahlen, Flächen und Düngetransporten sicherstellt, Problembetriebe identifiziert und in die Pflicht genommen werden – und gute konventionelle wie ökologische Betriebe, die heute schon so wirtschaften, dass Wasser sauber bleibt, nicht unnötig gegängelt werden.

Was kaum Einfluss auf das Wasser hat, aber Betrieben schaden kann, ist der Vorschlag, die Herbstdüngung von Zwischenfrüchten zu verbieten. Zwischenfrüchte fixieren vorhandenes Nitrat und können so die Auswaschung verringern. Der in den Pflanzen gespeicherte Stickstoff steht dann im Frühjahr der Folgekultur zu Verfügung. Zwischenfrüchte bereichern so den Nährstoffkreislauf.

Dr. Alexander Gerber, BÖLW-Vorstand für Landwirtschaft, kommentiert:

„Entscheidend ist, dass mit dem Düngerecht wasserschonendes Wirtschaften gefördert und diejenigen, die Wasser verschmutzen, belastet werden.

Ein wirksames Düngerecht muss sicherstellen, dass auf der Fläche nur so viele Tiere gehalten werden, wie Böden und Gewässer verkraften – so wie Bio-Bauern das tun. Ohne diesen wichtigen Schritt, den Wissenschaftler als wirksamste Maßnahme angeben, werden die Nitratüberschüsse in unseren Gewässern nicht ausreichend reduziert. Viele Wasserwerke setzen auf Kooperationen mit Bio-Betrieben, um ihre Brunnen sauber zu halten.

Wichtig ist auch, dass Stickstoffüberschüsse bei der Düngung mit leichtlöslichen synthetischen Düngern vermindert werden.

Wer Wasser heute schon schützt, darf nicht gegängelt werden. Regeln, bei denen Bio-Bauern ihre Zwischenfrüchte wie Wickroggen oder Winterrübsen im Herbst nicht mit Mist und Kompost düngen dürfen, verhindern eine gewässerschonende Landwirtschaft. Die Zwischenfrüchte helfen, Humus aufzubauen. Humus sorgt für einen nährreichen Boden, mit dem die Hauptfrucht ernährt wird. Das lebendige Bodennetz verhindert auch Erosion und hilft Wasser aufzunehmen und zu speichern.“

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/pflanze/duengung/.

9. Ackerbaustrategie

Der Ackerbau in Deutschland steigerte seine Erträge in den vergangenen Jahrzehnten deutlich. Damit einher ging die Verengung der Fruchtfolgen auf sehr wenige Kulturen, hohe Stickstoffüberschüsse (geringer werdende Stickstoffeffizienz) und eine steigende Pestizidmenge. Dass führt zu:

  • Kontamination von Grund- und Oberflächengewässern mit Nitrat und chemisch-synthetischen Pestiziden,
  • Belastungen der Umwelt durch schädliche Klimagase,
  • Verlust an Bodenfruchtbarkeit (Humusabbau),
  • Zerstörung der Artenvielfalt in den Agrarlandschaften.

Weder die Ackerbaustrategie noch der Nationale Aktionsplan zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP) der Bundesregierung leisten einen wirksamen Beitrag, um den Ackerbau nachhaltig zu machen. So fehlt es an konkreten Zielen zur Minderung von Stickstoffüberschuss und Pestizidmengen. Die Annahme Einzelinstrumente wie Digitalisierung und Gentechnik, die in der Ackerbaustrategie als zentrale Lösungen genannt sind, würden die Produktion nachhaltig machen, ist fern von wissenschaftlicher Evidenz.

Zahlreiche Studien belegen, dass Ökolandbau deutliche Vorteile für alle relevanten Ressourcen, die dringend geschützt werden müssen, bringt. Bio-Bauern sorgen für zahlreiche Innovationen im Ackerbau; viele der erprobten und bewährten Öko-Techniken können deshalb schnell, zielgerichtet und kostengünstig auch von konventionellen Betrieben umgesetzt werden. Wie im Übrigen auch Bio-Betriebe von Innovationen ihrer konventionellen Kollegen profitieren.

Die ökologische und streng kontrollierte Anbaupraxis, die auf der rechtlichen Grundlage der EU-Öko-Verordnung steht, muss als Leitbild für die Ausgestaltung jeder Ackerbaustrategie dienen. Sie sollte mit der Zukunftsstrategie ökologischer Landbau (ZöL) der Bundesregierung verschränkt werden.

Dr. Alexander Gerber, BÖLW-Vorstand für Landwirtschaft, kommentiert:

„Ackerbau muss enkeltauglich werden. Damit Bienen, Böden und Gewässer sich erholen können, muss die Bundesregierung mit der Ackerbaustrategie den Umbau starten. Die Bäuerinnen und Bauern müssen aber wissen, wo die Reise hingeht. Auf welchen Wegen und mit welchen Ressourcen will Landwirtschaftsministerin Klöckner diese Zukunft erschließen?

Mit vielfältigen Fruchtfolgen, innovativer Öko-Züchtung und Humuswirtschaft halten Öko-Landwirte ihren Dinkel, Weizen und ihre Gerste gesund. Chemisch-synthetische Pestizide brauchen Bio-Bauern dafür nicht.

Das Ziel für die Ackerbaustrategie legt der Koalitionsvertrag fest: Der Ackerbau soll umwelt- und naturverträglicher werden. Wenn das gelingen soll, müssen Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner und ihre Kabinettskollegen sagen, bis wann Pestizidmengen und Stickstoffüberschüsse um wieviel gemindert und wie die Bauern dabei unterstützt werden sollen.“

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/pflanze/gesundheit/artikel/mehr-pflanzengesundheit-mit-oeko/.

10. Forschung und Bildung

Ausgerichtet auf den Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen, eine artgerechte Tierhaltung und eine besondere Lebensmittelqualität, nutzt die Öko-Forschung neben modernsten natur- und sozialwissenschaftlichen Methoden vor allem das reiche Erfahrungswissen von Bio-Bauern,
-Lebensmittelproduzenten und -Händlern und bindet es aktiv in Forschung ein. Gemeinsam gelingt es, individuell an lokale Bedingungen angepasste praxistaugliche Lösungen in Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung umzusetzen, die darauf ausgerichtet sind, die planetaren Belastungsgrenzen zu respektieren und eine werteorientierte Produktion zu stärken.

Ein positiver Effekt der engen Zusammenarbeit zwischen Praxis und Forschung: Öko-Wissenschaftler können genau das passgenau erforschen, was auch auf dem Acker, in der Verarbeitung und in den Läden gebraucht wird.

Öko-Praktiker und -Forscher müssen gemeinsam noch viele ungelöste Fragen beantworten, etwa zur ganzheitlichen Lebensmittelqualität, innovative Strategien zur Gesunderhaltung von Nutzpflanzen, der Züchtung öko-optimierter Sorten oder der Entwicklung technologischer Alternativen für Zusatzstoffe. Damit das ganze Potenzial von Bio zum nachhaltigen Umbau von Land- und Lebensmittelwirtschaft besser gehoben werden kann, heißt es, die Öko-Forschungsinfrastruktur sowie Kooperationen zwischen Forschung und Praxis auszubauen und zu stärken. Und damit Praktiker einen guten Start hinlegen können, muss Bio auch in der Ausbildung endlich flächendeckend eine wichtige Rolle einnehmen – von der Landwirtschaft bis zum Handel.

Von Bio-Forschung und mehr Öko-Aus- und Weiterbildung profitiert der gesamte Agrar- und Ernährungssektor, der mit Blick auf Klimakrise, Erhalt der Höfe und Insektenschwund dringend nachhaltiger werden muss.

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, BÖLW-Vorsitzender, kommentiert:

„Öko-Forschung ist ein Innovationsmotor. Damit das Potenzial von Bio für eine enkeltaugliche Land- und Lebensmittelwirtschaft besser gehoben werden kann, heißt es, die Öko-Forschungsinfrastruktur sowie Kooperationen zwischen Forschung und Praxis auf Augenhöhe auszubauen und zu stärken.

Wer sich sinnvoller Weise zu 20 % Öko-Landwirtschaft bis 2030 im Koalitionsvertrag verpflichtet, muss das mit entsprechenden Investitionen in die Forschung unterfüttern. Es reicht nicht, den Anteil der Öko-Forschung bei unter 2 % der Agrarforschungsmittel zu belassen. Es braucht eine Forschungspolitik, die systemorientierte Institutionen und Forschungsansätze aufbaut und stärkt und zugleich Wissenstransfer und Kommunikation als zentralen Bestandteil von Forschungsarbeit versteht und fördert.

Wir fordern ein stärkeres Bundesprogramm Ökolandbau und die Erhöhung des schmalen Topfes von 30 auf 60 Mio. €. Das ist ein Anfang um die jahrzehntelange Vernachlässigung aufzuholen und die Öko-Forschung entsprechend der Zielsetzung von 20 % Öko-Landwirtschaft auszurichten.

Damit Bio-Bauern, -Lebensmittelhersteller und -Händler weiter große Schritte vorangehen können, muss Bio auch in der Ausbildung eine wichtigere Rolle einnehmen.“

Mehr Infos zum Thema auf https://www.boelw.de/themen/forschung-bildung/.

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