In der Land- und Lebensmittelwirtschaft sind mehr Menschen beschäftigt als in der Automobil- und Chemieindustrie zusammen. Landwirtschaftliche Nutzflächen machen die Hälfte der Gesamtfläche Deutschlands aus; ländliche Räume werden durch die Struktur von Land- und Ernährungswirtschaft geprägt. Wenn Bauernhöfe, Molkereien, Mühlen und Schlachthöfe ihre Tore schließen, droht die Verödung ländlicher Regionen. Gutes Essen und Trinken sind Grundvoraussetzung aller menschlichen Aktivität und wichtiger Teil von Kultur und Lebensqualität.
Gleichzeitig trägt das Agrar- und Ernährungssystem in Deutschland mit mehr als einem Viertel der deutschen Treibhausgas-Emissionen massiv zum Klimawandel bei und ist zugleich Haupttreiber der dramatischen Verluste bei der Artenvielfalt. Die ökologischen Folgekosten des Sektors belaufen sich auf jährlich 90 Milliarden Euro. Mit der Gestaltung der Rahmenbedingungen für diesen Bereich übernehmen Politikerinnen und Politiker daher eine große Verantwortung und beeinflussen enorm, wie sich Land und Umwelt künftig entwickeln und inwieweit wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen für kommende Generationen bewahren.
Ökolandbau stärken – für Böden, Wasser, Artenvielfalt, Klima und ländliche Räume!
Für nahezu 40.000 landwirtschaftliche Betriebe ist der ökologische Landbau schon heute Grundlage ihrer Existenz. Zehntausende Betriebe können sich eine Umstellung grundsätzlich vorstellen. Handwerkliche und mittelständische Verarbeitungsunternehmen entwickeln durch Herstellung von Bio-Qualitätsprodukten sichere Zukunftsperspektiven und stärken damit regionale Wertschöpfungsketten. Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern kaufen täglich Bio-Lebensmittel, mit nach wie vor steigender Tendenz.
Deutschland ist weltweit der größte Markt für Bio-Lebensmittel nach den USA und ein bedeutender Standort der ökologischen Produktion. Die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, unzureichende Förderung und eine für Höfe, Handwerk und Mittelstand überkomplexe Bürokratie setzen die heimische Bio-Produktion jedoch unter Druck. Wenn auch künftig die steigende Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln von heimischen Betrieben bedient werden soll, müssen die Rahmenbedingungen für Landwirtschaft, Züchtung, Verarbeitung und Handel zügig verbessert werden.
Der BÖLW fordert:
- eine einfachere und wirksame, dreistufige Förderung durch die GAP, die strikt Ökosystemleistungen honoriert (https://www.boelw.de/news/bio-verbaende-veroeffentlichen-neukonzeption-des-gap-modells/)
- Aufhebung der Benachteiligung von Bio-Unternehmen durch bürokratische Doppelbelastungen
- Stärkung einer guten Gemeinschaftsverpflegung
- Stärkung der Forschung für die ökologische Produktion; insbesondere mehr ökologische Züchtungsforschung
Vielfältige Wertschöpfungsketten stärken!
Die Bedeutung der Verarbeitungsebene wird in der Agrar- und Wirtschaftspolitik bisher zu wenig berücksichtigt. Dabei schrumpft parallel zur Zahl der Höfe auch die der Lebensmittel-verarbeitungsunternehmen dramatisch. Durch die aktuellen wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen werden ausgerechnet besonders nachhaltig wirtschaftende Betriebe und Unternehmen im Markt diskriminiert – Betriebe, die für den Erhalt der ländlichen Räume und die sozial-ökologische Transformation unverzichtbar sind.
Zum Stopp der Strukturverluste fordert der BÖLW:
- eine umfassende Strategie zur Stärkung einer dezentralen, nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft, die gemeinsam von Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium entwickelt und umgesetzt werden muss. Im Rahmen der Strategie müssen die bestehenden Bund-Länder-Förderprogramme (GRW & GAK) reformiert werden.
- Auch die Nutzung der EU-Mittel zur Stärkung von Bio-Wertschöpfungsketten muss entsprechend der Kritik des EU-Rechnungshofes dringend verbessert werden[1].
- Damit Höfe und Unternehmen faire Preise erwirtschaften können, muss das Konzept der wahren Preise und der ökologischen Steuerreform umgesetzt werden. Damit würde die ökologische Produktion entlastet und umweltschädliche Praktiken unattraktiv. Auch mögliche Änderungen bei der Mehrwertsteuer müssen an Nachhaltigkeitsziele geknüpft werden.
Gutes Essen für alle!
Die dänische Hauptstadt Kopenhagen hat in den letzten Jahren eine weltweit vorbildliche Reform der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung umgesetzt. Statt Dosen- oder Tiefkühlkost gibt es in Kitas, Schulen, Kliniken und Senioreneinrichtungen eine saisonal-regionale Frischküche mit hohem Bio-Anteil – und das ohne Preiserhöhungen. In Deutschland können erste Städte wie Berlin, Nürnberg oder Bremen und Flächenländer wie Brandenburg ähnliche Erfolge vorweisen.
Für gutes Essen für alle muss in die Umstellung der Küchen investiert werden. Kopenhagen hat jährlich nur einen Euro pro Einwohner/in investiert – „Peanuts“ im Vergleich zu den Folgekosten einer weniger frischen und gesunden Gemeinschaftsverpflegung. Die flächendeckende Umsetzung des „Kopenhagener Modells“ in Deutschland würde die Voraussetzungen für ein gutes Essen für Jung und Alt schaffen, unabhängig von Einkommen, Elternhaus oder Wohnort.
Konkret fordert der BÖLW:
- Bereitstellung von Bundesmitteln für Qualifizierungs- und Unterstützungsprogramme nach dänischem Vorbild in Kooperation mit Ländern und Kommunen
- Aktive Bekanntmachung des „Kopenhagener Modells“ und der neuen Bio-Auszeichnungsmöglichkeiten für Küchen
- Einführung eines Transaktionskostenzuschusses für gastronomische Einrichtungen, um den Küchen die Bio-Zertifizierung zu erleichtern
Tierschutz - Umbau der Tierhaltung weiterentwickeln!
Die gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung für Mastschweine mit Bio-Stufe als höchste Haltungsstufe ist wichtig und richtig, denn Bio hat die umfassendsten Vorgaben für artgerechte Tierhaltung - gesetzlich klar definiert und jährlich auf allen Bio-Betrieben kontrolliert.
Der BÖLW fordert:
- Weiterentwicklung der Haltungskennzeichnung, insbesondere für Rindfleisch und für Fleisch im Außer-Haus-Bereich
- Gezielte Stärkung bzw. Verstetigung der Unterstützung der Bio-Tierzucht, um die längerfristigen Züchtungsprogramme abzusichern
Gentechnik / Patente - für echte Wahlfreiheit!
Der Großteil der Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland wirtschaftet erfolgreich ohne Gentechnik und folgt damit dem klaren Willen der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Auch neue Gentechniken (NGT) müssen auf Risiken überprüft und klar gekennzeichnet werden, damit Bio-Betriebe auch künftig die Freiheit haben, ohne Gentechnik arbeiten zu können.
Gentechnik ermöglicht die Patentierung von Saatgut, Pflanzen und Tieren. Die auf EU-Ebene diskutierte Deregulierung von NGT würde die Privatisierung von Saatgut als Grundlage unserer Ernährung und die Konzentration im Saatgutmarkt weiter anheizen.
Der BÖLW fordert deshalb:
- Die nächste Bundesregierung muss sich im Europäischen Rat und während möglicher Trilog-Verhandlungen einsetzen für
- eine durchgängige Kennzeichnung aller NGT in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette,
- eine wissenschaftsbasierte Risikoprüfung (z. B. nach dem Vorschlag der französischen Regulierungsbehörde ANSES) und
- wirksame Koexistenzregelungen für ökologisch wirtschaftende Betriebe und Unternehmen.
- Um einer Patentflut auf Saatgut und Lebensmittel vorzubeugen, müssen vor NGT-Zulassungen erst die notwendigen Änderungen im Patentrecht realisiert werden.
Pflanzenschutzmittel zielführend regulieren
Dramatische Verluste bei der Artenvielfalt und Parkinson als „Berufskrankheit“ in der Landwirtschaft sind katastrophale Folgen einer verfehlten Agrar-Entwicklung. Sie sind akute Alarmzeichen, dass der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden dringend reduziert werden muss. Das kann schnell, wirksam und unbürokratisch mit marktbasierten Instrumenten erreicht werden.
Konkret fordert der BÖLW:
- Einführung einer Pestizidabgabe oder -umlage.
- Der EU-rechtlich seit 2009 gesetzlich vorgeschriebene integrierte Pflanzenschutz muss endlich in Deutschland umgesetzt werden. Chemisch-synthetische Pestizide haben Nachrang gegenüber präventiven und nicht-chemischen Maßnahmen.
Stärkung der Forschung zu Pflanzengesundheit ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel.
Berlin, 10.12.2024