Berlin, 10.11.2016. Mit Blick die UN-Klimakonferenz, die derzeit in Marrakesch (COP 22) stattfindet und auf das zähe Ringen um einen deutschen Klimaschutzplan diskutierte der Bio-Dachverband Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) auf seiner Herbsttagung, warum die Klimakrise nicht ohne die Landwirtschaft gelöst werden kann.
Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, BÖLW-Vorsitzender, warnte vor einer Rolle rückwärts Deutschlands beim Klimaschutz. Der aktuelle Entwurf des Klimaschutzplans sei ein zahnloser Tiger ohne ausreichende, verbindliche Ziele und Maßnahmen. Löwenstein betonte, dass die Landwirtschaft nicht nur Täter und Opfer der Klimakrise sei, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Lösung anbieten könne. Mit regenerativer Landwirtschaft könne viel überschüssiger Kohlenstoff in humusreichen Bio-Böden dauerhaft, sicher und günstig gebunden werden. Deutschland müsse wieder zum Klimapionier werden.
Prof. Dr. Hermann Lotze-Campen, Leiter des Forschungsbereiches "Klimawirkung und Vulnerabilität" am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), warnte vor Untätigkeit beim Klimaschutz. Klimaschäden könnten die Agrarpreise um bis zu 30 % verteuern, wodurch weitere Millionen Menschen von Hunger betroffen wären. Laut des Klimaforschers müsste die Landwirtschaft – wie alle Wirtschaftssektoren – dringend vom „business as usual-Pfad“ abbiegen. Der Umbau der Tierproduktion und ein geringerer Fleischkonsum seien bedeutende Hebel für den Klimaschutz. Gesamtwirtschaftlich betrachtet sei auch die Investition in Agrarforschung hochprofitabel und führe in vielerlei Hinsicht zu positiven Effekten.
Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit im Deutschen Bundestag, gab zu bedenken, dass mit den Zielen und Maßnahmen, die im aktuellen Entwurf des deutschen Klimaschutzplanes festgelegt sind, das Pariser Klimaziel nicht erreicht werden könne. Höhn betonte auch, dass sich Klimaschutz weder verschieben lasse, noch Sektoren aus der Pflicht genommen werden könnten. Die Zeit wäre abgelaufen, in der es genüge, Studien zu machen. Jetzt müsse gehandelt werden. Deshalb müsse in der Landwirtschaft von intensiv zu ökologisch umgesteuert werden.
Dr. Bernhard Walter, Referent für Ernährungssicherheit bei Brot für die Welt, warf einen Blick über den deutschen Tellerrand. Walter betonte, dass die klimafreundlichere, inputärmere Landbewirtschaftung gerade unter Armutsbedingungen funktioniere. Unter bestimmten politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen wie dem gesicherten Zugang zu Land, Wasser, Ausbildung und Frauenrechten könne mit ökologischen, klimafreundlichen Methoden genügend produziert werden.
Clemens Neumann aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sah den deutschen Klimaschutzplan auf einem guten Weg. Mit Fortschritten in Innovation und Forschung könnten die ambitionierten Klimaziele erreicht werden. Bei allen Maßnahmen sei entscheidend, dass man die Betriebe mitnähme.
Josef Braun, Bio-Bauer aus dem bayrischen Freising, betonte, wie viel jeder einzelne Bauer zum Klimaschutz beitragen könne, in dem er sein Betriebssystem immer wieder in Frage stellt und weiter entwickelt. Braun beschrieb unter anderem, dass mit dem Anbau von Kleegras und der daraus resultierenden Bildung von Dauerhumus viel CO2 rückgebunden könne. Es gelte, das Potenzial im Pflanzenbau voll auszunutzen, durch Photosynthese der Atmosphäre Kohlenstoff zu entziehen und in Böden zu binden. Dafür müsse eine ganzjährige Bodenbedeckung mit Pflanzen angestrebt werden und der Ackerbau mit Baumkulturen (Agroforstsysteme) erweitert werden. Wer seinen Acker im Sommer unbegrünt lasse, verhalte sich wie jemand, der seine Solaranlage abschaltet, wenn die Sonne am längsten scheint.
Alexander Mahler vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) sieht einen wichtigen Hebel für Klimaschutz in ehrlichen Preisen. Diese könnten dadurch erreicht werden, dass schädliche Subventionen identifiziert und abgeschafft würden. Eine weitere Möglichkeit sieht Mahler in Abgaben auf klimaschädliche Produkte wie Pestizide oder Fleisch. Mahler wies auf die Schieflage des Steuersystems hin, in dem Arbeit den Löwenanteil der Einnahmen generiere (63 %) während Steuern auf den Ressourcenverbrauch nur knapp 5 % zum Steueraufkommen beitrügen.
Jan Plagge, BÖLW-Vorstand, griff eine Formulierung aus dem Klimaschutzplan auf, nach der es gelte, Zielkonflikte beim Klimaschutz in der Landwirtschaft zu vermeiden. Auf diese Weise könnten Ziele nicht erreicht werden. Er forderte die Bundesregierung deshalb auf, sich stattdessen intensiv den Zielkonflikten zu stellen, um Klimaziele zu erreichen. Die Rahmenbedingungen für eine klimafreundliche Landwirtschaft müssten jetzt verbindlich gesetzt werden – umfassend und mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten in Brüssel, Berlin und den Ländern. Plagge wies darauf hin, dass konkret über die aktuelle und künftige Gemeinsame Europäische Agrarpolitik viel mehr Möglichkeiten bestehen, die Transformation zu finanzieren. Für die Betriebe ergeben sich aus dem klimafreundlichen Umbau der Landwirtschaft viele Chancen.
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