Berlin, 29.03.2017. 30 Organisationen aus Landwirtschaft, Umwelt- und Naturschutz, Tierschutz und Entwicklungspolitik rufen zu einer grundlegenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU und ihrer Umsetzung in Deutschland auf. Sie wollen die umfangreichen Fördergelder der EU wie auch die europäische Marktordnung und das Fachrecht dafür einsetzen, den landwirtschaftlichen Betrieben durch die strikte Berücksichtigung von Umwelt- und Tierschutz wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen.
Konkret schlagen die Verbände vor, sämtliche Zahlungen der Agrarpolitik gezielt und ausschließlich für die gesellschaftlichen Leistungen der Landbewirtschafter einzusetzen. Kleinere und mittlere Betriebe sollten gestärkt werden. Änderungen an der Marktordnung sollen schwere Marktkrisen vermeiden und die Selbstregulierung der Erzeuger stärken. Die Störung lokaler Märkte in Entwicklungsländern durch EU-Exporte mit Dumpingeffekten soll verhindert werden. Durch eine „einfache, abgestufte und verpflichtende Kennzeichnung“ der Tierhaltungsverfahren sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzt werden, den „Umbau der Tierhaltung“ aktiv mitzutragen. Zudem fordern die Verbände eine EU-weite Anhebung und Durchsetzung der Umwelt- und Tierschutzstandards.
Mit wichtigen Änderungen wollen die Verbände aber nicht auf die von der EU-Kommission angekündigte Reform der EU-Agrarpolitik für die Zeit nach dem Jahr 2020 warten. Sie rufen Bund und Länder dazu auf, noch im Jahr 2017 Umschichtungen von EU-Agrargeldern in Deutschland in Fördermaßnahmen für Tierschutz- und Agrarumweltmaßnahmen sowie zur Stärkung kleinerer und mittlerer Betriebe zu beschließen.
Bei der Übergabe des Positionspapiers an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks heute in Berlin erklärte Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR): „Düngemittel und Pestizide im Grundwasser, anhaltender Verlust der Artenvielfalt, Vermaisung der Landschaft und Massentierhaltung machen deutlich, dass es ein ‚Weiter so‘ in der Agrarpolitik nicht geben kann. Daher ist die Bundesregierung aufgefordert, die bestehenden Handlungsspielräume für eine Ökologisierung der Agrarpolitik stärker zu nutzen und die künftige EU-Agrarpolitik konsequent an der Erbringung gesellschaftlicher Leistungen auszurichten.“
Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), führte aus: „Weil der Großteil der Agrar-Fördermittel aktuell mit der Gießkanne über alle Agrarflächen ausgeschüttet wird, fehlt das Geld, um Leistungen von Landwirten im Umwelt-, Gewässer-, Klima- und Tierschutz zu finanzieren. Um die enormen Herausforderungen anpacken zu können, muss Deutschland die von der EU geschaffene Möglichkeit nutzen, 15 Prozent der EU-Agrargelder von der allgemeinen Flächenförderung in die 2. Säule für Umwelt-, Tier- und Klimaschutz umzuschichten. Deutschland und Europa sind aufgerufen Bio zu nutzen, um die Land- und Ernährungswirtschaft zu einem nachhaltigen Wirtschaftszweig umzubauen. Die Agrarpolitik wird das nach 2020 nur leisten können, wenn ihr dafür ausreichende Mittel zur Verfügung stehen. Wir treten deshalb dafür ein, das EU-Agrarbudget in seiner jetzigen Höhe beizubehalten und es zielgerichtet dafür zu verwenden, aktive Landwirte für Umwelt- und Tierschutzleistungen zu entlohnen.“
Dr. Klaus Seitz, Leiter der Abteilung Politik von Brot für die Welt, erläuterte die Notwendigkeit, die EU-Agrarpolitik am Recht auf Nahrung und an den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen auszurichten: „Die Staatengemeinschaft hat sich vorgenommen, den Hunger in der Welt bis 2030 zu beenden. Damit dies gelingt, müssen wir auch in der EU die Landwirtschaft neu ausrichten und international verträglich gestalten. Mit Überschussexporten, die Kleinbauern in armen Ländern von ihren lokalen Märkten verdrängen, muss Schluss sein.“
Martin Schulz, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), sagte in Berlin: „Die bisherige Agrarpolitik erzeugt viele Verlierer in Landwirtschaft und Gesellschaft. Wir brauchen aber eine starke Agrarpolitik, die Gewinner schafft, indem sie die gesellschaftlichen Leistungen der Bauern in der Erzeugung anerkennt und honoriert. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die gestiegenen qualitativen Anforderungen des Umwelt- und Tierschutzes in größere Wertschöpfungsmöglichkeiten mit höheren Erzeugerpreisen für die bäuerlichen Betriebe zu überführen. Dazu müssen alle Instrumente genutzt werden, also Förderpolitik, Marktordnung, Kennzeichnungs- und Fachrecht sowie eine faire Handelspolitik. Bund und Länder müssen zudem die Möglichkeiten ausschöpfen, die das EU-Recht heute schon bietet, auch zugunsten der ersten Hektare je Betrieb.“
Der BÖLW ist der Spitzenverband deutscher Erzeuger, Verarbeiter und Händler von Bio-Lebensmitteln und vertritt als Dachverband die Interessen der Ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland. Mit Bio-Lebensmitteln und -Getränken wurden 2016 von über 37.000 Bio-Betrieben 9,48 Mrd. Euro umgesetzt. Die BÖLW-Mitglieder sind: Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller, Bioland, Biokreis, Biopark, Bundesverband Naturkost Naturwaren, Demeter, Ecoland, ECOVIN, GÄA, Naturland, Arbeitsgemeinschaft der Ökologisch engagierten Lebensmittelhändler und Drogisten, Reformhaus®eG und Verbund Ökohöfe.