Politikbereich Finanzen
BÖLW-Grundsatzpapier zur Bundestagswahl 2021Berlin, 20.01.2021. Steuerpolitische Rahmenbedingungen haben für die Produktion und den Konsum von Lebensmitteln große Bedeutung. Das Mehrwertsteuersystem bestraft mit seinen zahllosen Einzelregelungen den Konsum pflanzlicher Alternativen zu tierischen Lebensmitteln (19 % Steuer auf Hafer-, Sojadrink & Co. gegenüber 7 % für Kuhmilch). Gleichzeitig benachteiligt es Bio-Lebensmittel ganz grundsätzlich, deren ohnehin schon höherer Netto-Preisabstand zu konventionellen Produkten durch die Mehrwertsteuer noch verstärkt wirkt.
Mit Steuern steuern: Nachhaltige Produktion und Konsum unterstützen
Die Schwerpunktsetzung der Besteuerung des „Faktors Arbeit” benachteiligt gerade Bio-Landwirtschafts- und Verarbeitungsbetriebe, in denen im Durchschnitt deutlich mehr Arbeitsleistungen erbracht werden (müssen) – oder positiv ausgedrückt: Betriebe, die mehr Menschen Lohn und Brot bieten. Vor über 20 Jahren wurde mit der „Öko-Steuer” erstmals versucht, Nachhaltigkeitsaspekte im Steuersystem zu berücksichtigen. Obwohl die Öko-Steuer funktioniert, wurde dieser Ansatz nie ausgeweitet. Die 2020 beschlossene Bepreisung von CO2 könnte ein nächster, wenn auch sehr kleiner Schritt in diese Richtung einer Ressourcenbesteuerung sein. Trotz dieses kleinen Schrittes wäre Deutschland weit entfernt von einem zukunftsfähigen Steuer- und Finanzsystem, welches an den heutigen Anforderungen an Nachhaltigkeit ausgerichtet sein muss. Ganz im Gegenteil: Ein Steuersystem, das Nachhaltigkeit ausblendet und nicht-nachhaltige Praktiken – statt zu sanktionieren – sogar teilweise besserstellt, betreibt faktisch umweltschädliche Subventionierung. Denn es toleriert bzw. belohnt nachgewiesene negative Effekte auf Volkswirtschaft und Gemeinwohl, verschafft nicht-nachhaltigen Unternehmen Wettbewerbsvorteile und bestraft diejenigen, die nachhaltig produzieren und konsumieren. Eine Bundesregierung, die ihre Verantwortung gegenüber der heutigen und zukünftigen Generation und ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, dem Klima- Abkommen von Paris, der UN-Biodiversitätskonvention und den UN-Nachhaltigkeitszielen ernst nimmt, muss auch ihr Steuersystem konsequent auf Nachhaltigkeit trimmen.
Wettbewerbsverzerrungen entzerren, Marktversagen stoppen
Das aktuelle System stellt das Verursacherprinzip auf den Kopf – und macht umweltschädliche Produkte „billiger“ als etwa Bio-Lebensmittel, die eine ehrliche Kostenbilanz aufweisen und deren Preise die Wahrheit sprechen. Diese Wettbewerbsverzerrungen müssen endlich gestoppt werden. Umlagen auf den Einsatz synthetischer Pestizide und Düngemittel sind nur einige geeignete Instrumente, mit denen dem Marktversagen begegnet werden kann. Denn dieses entsteht, wenn öffentliche Güter wie Boden, Artenvielfalt, Klima oder Grundwasser beim Wirtschaften geschädigt werden, ohne dass die dabei entstehenden Kosten sich im Preis der so produzierten Waren wiederfinden. Ein weiteres wichtiges Instrument für die Preisbildung ist die Bilanzierung von Nachhaltigkeitsrisiken der Unternehmen, im Sinne einer „True Cost”-Systematik.
»Ein effizientes Steuersystem sollte besteuern, was vermieden werden soll und nicht, was gesellschaftlich erwünscht ist („tax bads, not goods“). Die Richtschnur sollte sein, dass diejenigen profitieren, die sich umweltfreundlich verhalten.«
DNR [1] & FÖS [2] 2017
Die Bilanz ist wichtige Grundlage für den Zugang zu Fremdkapital von Banken und anderen Investoren und damit relevant für die interne Kosten- und Preiskalkulation. Werden Nachhaltigkeitsrisiken nicht bilanziert, wird die Bilanz faktisch geschönt – die Folgen geschönter Bilanzen wurden erst kürzlich im Wirecard-Skandal wieder sehr deutlich.
»Der WBAE [3] empfiehlt, in zentralen Handlungsfeldern die Preisanreize für eine nachhaltigere Ernährung deutlich zu verstärken. Dies soll durch Entlastung einkommens schwacher Haushalte sozialverträglich gestaltet werden.«
WBAE 2020
Der BÖLW setzt sich dafür ein, die gesetzlichen Bilanzierungsvorschriften so weiterzuentwickeln, dass Gemeinwohlleistungen und Nachhaltigkeitsrisiken besser abgebildet werden. Nur mit wahren Preisen entstehen faire Märkte, in denen sich eine nachhaltige Produktion für Bauern und Unternehmerinnen lohnt.
[1] DNR: Deutscher Naturschutzring
[2] FÖS: Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft
[3] WBAE: Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz