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Hintergrund

BÖLW-Hintergrundinfo zu Studie „The greenhouse gas impacts of converting food production in England and Wales to organic methods“

Forscher arbeiten mit falschen Voraussetzungen und falschen Zahlen

Berlin, 23.10.2019. Ein weiteres Mal haben Wissenschaftler viel Energie darauf verwendet, die Folgen eines 100%-igen Umstieges der Landwirtschaft auf ökologische Wirtschaftsweise zu prognostizieren [1]. Und sind zu den immer gleichen Ergebnissen gekommen: Stellt man die Landwirtschaft auf komplett auf Öko um, dann gibt es nicht mehr genug Nahrungsmittel – oder man muss mehr Naturfläche in Produktionsfläche umwandeln, was dann Schäden für Biodiversität und Klima verursacht.

Aber: Leider ist die Rechenkunst auch ein weiteres Mal von den falschen Voraussetzungen ausgegangen – nämlich dass sich an unserem Konsum und an der Verschwendung der Lebensmittel nichts ändert bzw. der westliche Ernährungsstil global hochgerechnet wird. Unter dieser Voraussetzung funktioniert aber kein Landbausystem mehr. Auch die bisherige industrielle Landwirtschaft nicht, denn sie produziert zwar eine Zeit lang sehr hohe Erträge, schädigt aber bereits heute gleichzeitig die Ressourcen wie Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit, Wasser und Klima, die wir für die künftige Nahrungsproduktion brauchen.

An zwei Beispielen lässt sich zeigen, wie wenig praxisrelevant aus diesen Gründen die Modell-Voraussetzungen der Studie sind:

  1. Konsum, Preise und Ernährungsstil: Heute verschlingt die Tierhaltung 40 % des weltweit geernteten Getreides – in den Industrienationen sogar 60 %. Deshalb ist eine Reduktion unseres Fleischverbrauchs zwingende Voraussetzung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Unterstellt man eine 100 %-ige Umstellung auf ökologische Landwirtschaft, so verändern sich die Preise aufgrund der höheren Produktionskosten – vor allem für Fleisch und andere tierische Produkte. Mehrfach ist nachgewiesen worden, was daraus automatisch folgt: ein deutlich geringerer Konsum von Fleisch und Co. Modelle, die das nicht einberechnen, berücksichtigen die Regelungsmechanismen des Marktes nicht.
     
  2. Lebensmittelverschwendung: Fast die Hälfte der globalen Lebensmittelproduktion schafft es nicht bis auf den Teller der Menschen. Die Gründe sind auch hier weltweit unterschiedlich und reichen von der Verschwendung von Lebensmitteln in den Industrienationen bis zu Ernte- oder Nachernteverlusten, etwa durch schlechte Infrastruktur, in den Ländern des Südens. In die Reduzierung der Verschwendung auf allen Ebenen zu investieren, nützt der Ernährung der Menschheit und dem Schutz des Klimas gleichermaßen. In einem Rechenmodell an dieser Front einfach ein „Weiter so“ zu unterstellen und damit eine Fortsetzung eines ressourcenvernichtenden industriellen Landnutzungs- und Ernährungssystems zu begründen, kommt einer Bankrotterklärung gleich.

Zusätzlich zu diesen falschen Voraussetzungen rechnen die Forscher der englischen Studie mit falschen Zahlen, was die zu erwartenden Ertragsrückgänge angeht. Zwar mögen für britische Verhältnisse 40 % weniger Ertrag bei einigen Kulturen realistisch sein. Weltweit liegt diese Zahl jedoch im Mittel deutlich geringer, wie 2014 Forscher der renommierten US-Universität Berkeley [2] zeigen konnten. In dieser bis dato umfangreichsten Meta-Studie werteten die amerikanischen Forscher über 1000 wissenschaftliche Ertragsvergleiche zwischen „Öko“ und „Konventionell“ aus. Sie fanden einen durchschnittlichen geringeren Ertrag von lediglich 19,2 %. Dieser Unterschied halbierte sich noch einmal, wenn nicht nur die Erträge einzelner Kulturen verglichen wurden (z.B. Mais mit Mais und Weizen mit Weizen) sondern ganze Anbausysteme – also die Abfolge verschiedener Fruchtarten auf derselben Fläche.

Die Berkeley-Wissenschaftler wiesen zudem darauf hin, dass diese Ergebnisse in einer Situation Zustandekommen, in der seit Jahrzehnten Milliarde von Geldern in industrielle Forschung und kaum etwas in die Forschung zu ökologischen Landbau- und Ernährungssysteme investiert wurden. Und gehen deshalb davon aus, dass der Ertragsunterschied noch weiter verringert werden kann.

Diese Erkenntnisse sind längst in Praxis angekommen: Dass mit zum Beispiel mit Andra Pradesh (60 Mio. Einwohner) nun schon der dritte Bundesstaat Indiens auf eine 100%-ige Umstellung ihrer Landwirtschaft auf agrarökologische Methoden setzt, zeigt, dass diese Erkenntnisse genau dort, wo Lebensmittelknappheit herrscht, genutzt werden, um die Ernährungssituation zu verbessern.

Die jetzt in England vorgelegte Studie ist deshalb zwar ein interessantes Gedankenspiel aber kein praktisch verwertbarer Beitrag in der dringend erforderlichen Diskussion über künftige Agrarsysteme – mit Blick auf Ressourcenschutz und Hungerbekämpfung. Allerdings zeigt sie noch einmal eindringlich, wie wichtig es ist, endlich wirkungsvoll und ausreichend in Erforschung und Entwicklung agrarökologischer Ernährungssysteme zu investieren.


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Zuletzt bewerteten das staatliche Thünen-Institut und sechs weitere Forschungsorganisationen die Leistungen von Ökolandbau und konventioneller Landwirtschaft für Umwelt und Gesellschaft. Dabei handelte es sich um die umfangreichste Metastudie, die zu dieser Frage je angestellt wurde.

Bewertet wurden die sieben ‚Leistungsbereiche‘ Wasser, Boden, Biodiversität, Klimaschutz, Klimaanpassung, Ressourceneffizienz und Tierwohl anhand von 33 Indikatoren. Bei 26 Indikatoren punktet der Ökolandbau mit höheren Leistungen für Umwelt und Gesellschaft, bei sechs sind die Leistungen von bio und konventionell vergleichbar, bei nur einem leistet Öko weniger. https://www.boelw.de/news/umfassende-studie-system-oekolandbau-ist-klarer-punktsieger-bei-umwelt-und-ressourcenschutz/.


[1] Die Studie Smith L. et al. (2019): „The greenhouse gas impacts of converting food production in Eng-land and Wales to organic methods.“ Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-019-12622-7. im Fachjournal Nature Communications erscheinen unter folgenden URL https://www.nature.com/articles/s41467-019-12622-7.

[2] Lauren C. Ponisio et al. (2015): Diversification practices reduce organic to conventional yield gap -, Berkeley, https://doi.org/10.1098/rspb.2014.1396


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