Politikbereich Bildung und Forschung
BÖLW-Grundsatzpapier zur Bundestagswahl 2021Berlin, 20.01.2021. Anders als z. B. im Wirtschaftsressort ist Nachhaltigkeit als Thema in den Strategien und Programmen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchaus vertreten, etwa über die Strategie „Forschung für Nachhaltige Entwicklung” (FONA).
Allerdings bremst das BMBF die Wirksamkeit der eigenen Förderung von Nachhaltigkeitsforschung teilweise selbst aus, da es den Innovationsbegriff seit Jahrzehnten fast ausschließlich auf technologische Entwicklungen begrenzt. Gleichzeitig tut sich die deutsche Forschungspolitik im Vergleich zur EU-Ebene immer noch sehr schwer, ein wirklich modernes, transdisziplinäres Verständnis von Forschung und Entwicklung zu leben, das Innovationsleistungen auch von Akteuren anerkennt und aufgreift, die nicht aus den etablierten öffentlichen oder industriellen Forschungsinstitutionen kommen – wie beispielsweise von Landwirtinnen und Lebensmittelunternehmern. Dadurch erfährt gemeinwohlorientierte, höchst praxisrelevante Forschung einen deutlichen Nachteil.
Nachhaltige Zukunft braucht breites Innovationsverständnis & öffentliche Forschung
Die einseitige Fixierung auf Technologien und ein eingeschränktes Forschungsverständnis diskriminieren alternative Innovationssysteme wie die Ökologische Lebensmittelwirtschaft.
Das wird dadurch deutlich, dass immer noch weniger als 2 % der öffentlichen Agrar- Forschungsmittel in Öko-Forschung investiert werden – obwohl bereits etwa 10 % der deutschenAgrarfläche ökologisch bewirtschaftet werden und diese Fläche bis 2030 auf mindestens 20 % ausgeweitet werden soll. Diese Zielvorgabe unterstützt das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele wie Biodiversität, Klima-, Boden- und Wasserschutz sowie gesunde Ernährung und Konsum zu erreichen. Dies kann nur gelingen, wenn auch der Fokus der Agrar-Forschung endlich stärker auf Öko-Forschungsfragen gerichtet wird. Die öffentliche Forschung ist für den Ökolandbau von besonderer Bedeutung, da das System Bio stärker auf wissensintensiven Verfahren als auf externen Betriebsmitteln, wie Pflanzenschutz- oder Düngemitteln, aufbaut. Systembedingt profitieren Öko-Landwirtinnen und -Landwirte deshalb nicht oder kaum von Forschungsinvestitionen z. B. der Agrochemie-Unternehmen.
Bio = Innovationsrahmen für mehr Nachhaltigkeit der gesamten Land- und Lebensmittelwirtschaft
Das rechtlich klar definierte Bio-System bildet einen hervorragenden Rahmen für Innovationen mit hoher gesellschaftlicher Akzeptanz, von denen die gesamte Land- und Lebensmittelwirtschaft nachhaltig profitiert. Trotz oder gerade wegen der jahrzehntelangen Vernachlässigung der öffentlichen Forschungsförderung für Bio haben sich zahlreiche und dynamische Praxisforschungsstrukturen entwickelt.
Diese tragen heute schon zur Entwicklung und Umsetzung innovativer Systemlösungen entscheidend bei – und können als günstige, risikofreie und praxisnahe Blaupause für transformative Forschung und forschungsintegrierten Wissenstransfer dienen.
Praxisforschungsakteure werden in Zukunft stärkere öffentliche Unterstützung brauchen, denn die gesellschaftlichen Anforderungen an Land- und Lebensmittelwirtschaft werden weiterwachsen.
Das beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft budgetierte Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN) reicht mit seiner Ausstattung längst nicht als zentrales Förderinstrument des Bundes für die Bio-Forschung aus. Unzureichende Öko-Forschungsfördermittel und -Forschungsinfrastrukturen verursachen bereits heute einen Bio-Innovationsstau, der Deutschland im europäischen und globalen Bio-Wettbewerb zurückwirft. Schon jetzt droht Deutschland, als Ursprungsregion der Bio-Wirtschaft, seinen Stammplatz als größter europäischer Bio-Markt an Frankreich zu verlieren.
Mit systemischer Forschung Landwirtschaft nachhaltig machen
Besonders schädlich für die politisch und gesellschaftlich gewünschte Weiterentwicklung der (ökologischen) Land- und Lebensmittelwirtschaft ist die aktuelle einseitige Konzentration der Agrar- und Züchtungsforschung auf gentechnische Verfahren wie Crispr-Cas9. Derartige Verfahren werden in der ökologischen Produktion gemäß EU-Öko-Verordnung nicht angewendet und die Ergebnisse sind für den Bio-Bereich nutzlos. Dazu kommt, dass über die gentechnischen Verfahren Nutzpflanzen und -tiere patentiert werden, was dem politisch breit verankerten Willen widerspricht, derartige Patente abzulehnen. Angesichts der wissenschaftlich bestätigten Notwendigkeit einer systemischen Transformation der Lebensmittelproduktion ist eine Zuspitzung der Forschungsbemühungen auf Einzelaspekte, wie dem Genom, ohnehin nicht sinnvoll. Derart einseitige Forschung und ihre Finanzierung verursacht Pfadabhängigkeiten, die den notwendigen grundlegenden Umbau der Lebensmittelproduktion erschweren oder verzögern – beides können wir uns mit Blick auf die großen Herausforderungen hinsichtlich Biodiversitäts- und Klimakrise sowie der Notwendigkeit eines Wirtschaftssystems, das die planetaren Belastungsgrenzen respektiert, nicht leisten.
»Die Forschung zu Methoden des Ökolandbaus bedarf daher eines starken Impulses, um der deutschen Landwirtschaft zu ermöglichen, die anspruchsvollen, von der Bundesregierung gesetzten Ziele zu erreichen.«
Umweltbundesamt 2020
Auch für die (Agrar-) Forschung gilt: Vielfalt ist Stärke. Statt weiterhin Ressourcen vorwiegend in Agrogentechnik-Forschung zu pumpen, deren Ergebnisse seit Dekaden gar keine Lösungen systemischer Probleme liefern und noch dazu von der großen Mehrheit der Gesellschaft klar abgelehnt werden, sollte die Forschungsförderung des Bundes eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze für nachhaltige Produktionssysteme fokussieren. Insbesondere sollte der Bund anstreben, die Weiterentwicklung des Ökolandbaus mit entsprechender Forschung und Entwicklung gleichberechtigt zu unterstützen, da Bio in Bezug auf Nachhaltigkeitsleistungen den mit Abstand wirksamsten, am besten belegten und gesellschaftlich breit akzeptierten Systemansatz bietet.